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Internat auf Probe

Internat auf Probe

Titel: Internat auf Probe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Hoßfeld
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ziemlich viele Schüler. Wenn die alle gleichzeitig am See und auf den Sportplätzen herumwuseln, ist es mit der Ruhe garantiert vorbei.
    Mit dem Ärmel ihres Sweatshirts wischt sie ein Fleckchen auf einem der umgedrehten Ruderboote trocken, dann setzt sie sich hin und angelt die Gummibärchentüte aus dem Rucksack. Zwei weiße steckt sie sofort in den Mund, ein grünes und ein rotes legt sie neben sich auf das Boot, um sie zu fotografieren.
    Vom Schlossplatz dringen gedämpft Rufe und Lachen herüber. Der Empfang scheint zu Ende zu sein. Papa hat erzählt, dass es anschließend noch ein gemeinsames Mittagessen im Schloss geben soll, aber er und Carlotta haben beschlossen, den Rest des Tages gemeinsam zu verbringen – ohne ehemalige Mitschüler und Lehrer von Papa.
    Carlotta macht ein paar Aufnahmen von den Booten, den Schwänen und den Gummibärchen. Sie will gerade aufstehen und zum Schloss zurückgehen, als eine laute Stimme ruft: „Hey, spinnst du? Was machst du da?“
    Erschrocken fährt Carlotta herum. Die beiden Gummibärchen rutschen vom Boot und fallen ins Gras.
    Ein Junge steht breitbeinig mitten auf dem Weg. Er trägt ein blauweiß geringeltes T-Shirt, hat die Hände tief in den Taschen seiner ausgefransten Jeans vergraben und funkelt Carlotta böse an. Sein strohblondes Haar fällt ihm fast bis auf die Schultern. Seine Augen sind auffallend himmelblau.
    Wie bei einem Schlittenhund, denkt Carlotta. Einem Husky.
    Er scheint ein bisschen älter zu sein und ist ungefähr einen Kopf größer als sie.
    „Steh sofort auf!“, blafft er. „Weißt du nicht, dass man sich nicht auf umgedrehte Boote setzt?“
    „Was? Nein!“ Carlotta springt auf. „Wieso denn nicht?“
    Der Junge kommt ein Stück näher und mustert sie aus zusammengekniffenen Augen von oben bis unten.
    „Ist schlecht fürs Holz“, knurrt er. „Die Planken können sich verziehen. Das sind nämlich Regattaboote. Die sind sauteuer.“
    „Ach so, Entschuldigung. Das wusste ich nicht.“ Carlotta versucht es mit einem kleinen Lächeln, aber der Junge starrt sie genauso finster an wie vorher.
    Blödmann!, denkt Carlotta und starrt mindestens genauso finster zurück.
    „Was suchst du überhaupt hier?“, will der Junge wissen. Sein Gesicht wird ein bisschen freundlicher. „Hier ist Privatgelände. Oder gehörst du etwa zu den schnieken Schnöseln?“
    Er grinst, und Carlotta kann sehen, dass an einem seiner Schneidezähne eine kleine Ecke abgebrochen ist, was seinem Gesicht ein leicht verwegenes Aussehen verleiht.
    Er sieht aus wie dieser Junge aus dem Film, denkt Carlotta, den es neulich im Fernsehen gab. Huckleberry Finn, nach dem berühmten Buch von Mark Twain.
    Sie kichert. „Was denn für schnieke Schnösel?“
    Das Grinsen des Jungen wird breiter. Mit dem Daumen einer Hand zeigt er über die Schulter zum Schloss und sagt: „Na, diese Ehemaligenschnösel, die heute hier rumtraben.“
    „Ach so! Ja, klar, zu denen gehör ich“, sagt Carlotta, immer noch kichernd. „Mein Vater ist nämlich zufällig einer davon. Was dagegen?“
    „Upps!“, macht der Junge, aber es sieht nicht so aus, als ob es ihm besonders peinlich wäre, mitten ins Fettnäpfchen getreten zu sein. „Wie heißt du?“
    „Carlotta, und du?“
    „Jonas.“
    „Wohnst du hier?“, fragt Carlotta neugierig. „Oder gehörst du auch zu den Schnöseln?“
    „Nee“, lacht Jonas. „Mein Vater ist hier der Hausmeister. Wir wohnen dahinten.“ Wieder wandert sein Daumen über die Schulter nach hinten und zeigt in eine ungefähre Richtung.
    Carlotta nickt. „Aha“, meint sie. „Cool.“
    „Na ja, geht so“, brummt Jonas. Er vergräbt die Hände wieder in seinen Jeans, scharrt mit dem Fuß im Kies und kickt einen kleinen Stein weg. „Tja, ich glaub, ich geh dann mal wieder.“ Er zieht eine Hand aus der Hosentasche und winkt Carlotta zu, während er sich schon umdreht. „Ciao, man sieht sich.“
    „Tschüss“, sagt Carlotta.
    „Und viel Spaß noch mit den Schnöseln!“, ruft Jonas über die Schulter, bevor er lostrabt und hinter dem Bootshaus verschwindet.
    „Gleichfalls!“, ruft Carlotta zurück. Sie wartet einen Moment, aber Jonas antwortet nicht. Bestimmt hat er sie gar nicht mehr gehört. Schnösel … so ganz Unrecht hat er damit nicht. Sogar Papa hat sich extra fein gemacht, ein weißes Hemd und ein Jackett angezogen und zur Krönung die Krawatte mit dem kleinen Wappen vom Schloss Prinzensee umgebunden – obwohl er Anzüge und Krawatten normalerweise

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