Internat auf Probe
und hat lange blonde Haare, die aussehen, als würden sie täglich mit mindestens hundert Bürstenstrichen auf Hochglanz gebracht.
Carlotta hört auf zu kichern und guckt angestrengt geradeaus. Sie hat jetzt schon Heimweh. Oder was ist das sonst für ein Kribbeln und Rumoren in ihrem Bauch? Ob Mama sie gleich wieder mit nach Hause nehmen kann? Papa hat doch gesagt, dass die ersten zwei Wochen im Internat Probewochen sind. Gilt das vielleicht auch für die ersten zwei Stunden? Nur mit Mühe kann Carlotta einen weiteren Seufzer unterdrücken.
Der Chor hat aufgehört zu singen. Herr Dr. Brönne und Frau Müller-Stürzelbach betreten die Bühne, begleitet von zwei Frauen und zwei Männern, die freundlich in die Runde blicken.
Ob das die Lehrerinnen und Lehrer sind? Carlotta rutscht ein Stückchen nach vorn und reckt den Hals.
„Ich werde jetzt eure Namen vorlesen und möchte euch bitten, zu uns auf die Bühne zu kommen, damit wir euch begrüßen können“, sagt Dr. Brönne. „Eure neuen Lehrerinnen und Lehrer werden euch anschließend zu den Zimmern begleiten. Eure Eltern und Geschwister haben in der Zwischenzeit Gelegenheit, sich ein wenig umzusehen und im Speisesaal einen kleinen Imbiss zu sich zu nehmen, bevor sie sich von euch verabschieden.“
Pling!, macht es irgendwo in Carlottas Kopf. Jetzt wird’s ernst!
In ihrem Magen grummelt es, in den Ohren hört sie ein leises Rauschen.
Als Dr. Brönne die ersten Namen vorliest, kommt Bewegung in die Sitzreihe. Nach und nach stehen die Mädchen und Jungen auf und schieben sich nach vorn. Sie klettern auf die Bühne, geben dem Internatsleiter die Hand und stellen sich neben ihn.
Als Dr. Brönne den Namen Sofie Beauchamps vorliest, streicht sich die Dünne neben Carlotta mit einer eleganten Bewegung die Haare aus der Stirn und steht auf. Sie wirft Carlotta einen scheuen Blick zu und murmelt ein leises „Pardon“, bevor sie nach vorn geht.
Es dauert eine ganze Weile, bis sich das Alphabet endlich dem Buchstaben P nähert. Die Stuhlreihe ist schon ziemlich gelichtet, und Carlotta wird immer nervöser.
„Carlotta Prinz“, liest Dr. Brönne schließlich vor.
Carlotta schluckt, als sie ihren Namen hört, und steht auf. Mit zittrigen Wackelpuddingknien schafft sie es irgendwie, auf die Bühne zu kommen und dem Direktor die Hand zu geben. Dann reiht sie sich in die Gruppe der Fünftklässler ein und versucht ihren Herzschlag zu beruhigen. Gleichzeitig holt sie tief Luft und zählt bis zehn, um die merkwürdigen Lichtpunkte zu verscheuchen, die vor ihren Augen tanzen.
Es dauert einen Moment, bis sie merkt, dass es viele kleine Scheinwerfer sind, die die Bühne ausleuchten. Sosehr sie auch blinzelt, die Lichtpunkte bleiben, wo sie sind. Unauffällig schiebt sie sich hinter einen schlaksigen Jungen, der einen Kopf größer ist als sie. Die blonde Sofie steht neben ihr, aber sie guckt blitzschnell zur Seite, als Carlotta ihr zulächelt.
Dann eben nicht, denkt Carlotta und würde gerne noch einmal seufzen.
Endlich sind alle Fünftklässler auf der Bühne versammelt. Dr. Brönne macht sie mit den Lehrern bekannt.
Carlotta und Sofie werden einer jungen Lehrerin vorgestellt. Sie hat kurze schwarze Haare und ein pfiffiges Gesicht. Carlotta findet sie auf Anhieb sympathisch, nur ihren Namen hat sie nicht richtig verstanden. Frau Eselbein? Das kann doch wohl nicht sein, oder?
„Frau Schmidtchen, Frau Heselein, Herr Frankenberg und Herr von Platen werden euch jetzt eure Zimmer und die Klassenräume zeigen“, sagt Dr. Brönne. „Sie sind eure Fachlehrer und werden euch durch die ersten Wochen und Monate begleiten. Herr Frankenberg ist gleichzeitig unser Unterstufenleiter. Herr von Platen ist Vertrauenslehrer. Falls ihr Fragen oder Probleme habt, wendet euch an ihn.“
Herr von Platen, ein älterer Mann mit grauen Haaren und einer schmalen Brille, nickt freundlich.
Dr. Brönne fährt fort: „Nachdem ihr eure Zimmer in Besitz genommen habt, könnt ihr euer Gepäck holen und euch von euren Familien verabschieden. Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Speisesaal bekommt ihr eure Stundenpläne und Bücher und werdet mit unserem Freizeitangebot vertraut gemacht. Ihr werdet feststellen, dass Prinzensee eine Menge zu bieten hat.“
Carlotta hat aufmerksam zugehört. Frau Heselein heißt ihre Klassenlehrerin also. Obwohl … Frau Eselbein wäre auch nicht schlecht gewesen. Sie kichert und fängt sich einen fragenden Blick von Herrn Dr. Brönne ein.
Carlotta wird knallrot
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