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Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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nicht. Alle Seelen sind nach Platon bereits vor der Geburt der Menschen existent und wohnen in der Unterwelt, im Hades, wo auch die Toten zu Hause sind. Über tausende von Jahren kommen sie immer wieder auf die Welt und versuchen, durch ein tugendhaftes menschliches Leben irgendwann an ihr Ziel zu gelangen – nämlich aufzufahren zu einem Stern und mit ihm eins zu werden.
    Das klingt sicher sehr poetisch und anrührend, brachte mich aber keinen Schritt weiter.
     
    So, wie ich auf das Christentum mit Häme schaute, so blickte ich nun auch auf einige Philosophen mit Häme. Auf Platon zum Beispiel. Allerdings blieb mir der Spott über die zu Sternen auffahrenden Seelen im Halse stecken, als es den ersten Todesfall in meiner Umgebung gab. Denn hier ging es um einen Stern.

    Nina, eine gute Freundin meiner besten Freundin, hatte sich im Alter von neunzehn Jahren das Leben genommen. Mein Verhältnis zu Nina war nicht sonderlich eng gewesen, aber ich hatte sie immer sehr gemocht und hin und wieder waren wir zu dritt unterwegs gewesen. Schon seit Jahren hatte Nina mit Drogen experimentiert, sie liebte klassische Musik und romantische Literatur, und oftmals wirkte sie weltabgewandt und wie in einer tiefen Melancholie versunken. Was mich damals sehr befremdete und hilflos machte. Ich konnte damit nicht umgehen und spürte, dass meine Worte und Fragen sie nicht erreichten.
    Und dann kam die schockierende Nachricht: Nina ist tot. Sie hatte sich, wie und wo auch immer, starke Schlaftabletten besorgt und eine Überdosis eingenommen. Am Abend vor ihrem Tod sei sie, so die Eltern, bei denen sie noch wohnte, völlig unauffällig gewesen. Man habe die Abendstunden gemeinsam verbracht und gegen dreiundzwanzig Uhr sei Nina auf ihr Zimmer gegangen. Was genau dort dann passiert ist, wird für immer ein Geheimnis bleiben. Am nächsten Morgen fanden die Eltern ihre Tochter tot im Bett. Auf dem Nachttisch stand Ninas kleiner Schallplattenspieler und machte permanent ein knackendknisterndes Geräusch, da sich die Nadel, wie es bei diesen Geräten manchmal vorkam, nicht automatisch am Ende des Musikstückes von der Schallplatte abhoben
hatte. Auf dem Plattenteller lag Der Tod und das Mädchen von Franz Schubert. Dieses Lied war wohl Ninas Sterbemusik gewesen. In ihren toten Händen hielt sie ein Buch, Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry. Es war das Schlusskapitel aufgeschlagen, in dem der kleine Prinz stirbt, um wieder zurückkehren zu können zu seinem Stern.
    Eine Stelle hatte Nina unterstrichen: »Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können!«
     
    Ein paar Wochen nach der Katastrophe machten meine beste Freundin und ich einen Besuch bei Ninas Eltern. Die Begegnung war bedrückend und furchtbar traurig. Wir sprachen viel über Nina und ihre Mutter erlitt immer wieder Weinanfälle. Als wir uns dann von den Eltern verabschiedeten, sagte Ninas Mutter an der Tür einen Satz, der im Grunde ein Allgemeinplatz war, der mich aber in seiner tiefen Wahrheit so erschütterte:
     
    »Nun werde ich sie nie mehr wiedersehen. Nie mehr.
Das ganze Leben wird vergehen ohne Nina.«

    Gesprächsprotokoll
    Ist Selbsttötung eine Sünde?
    Sünde? Das ist ein religiöser Begriff. Ich gehöre keiner Religion an.
    Ich möchte wissen, ob es verwerflich ist, sich selbst zu töten.
    Etwas weniger Moral täte dir gut, mein Freund. Nein, es ist nicht verwerflich. Obgleich das Leben sehr wertvoll ist. Aber genau das wissen auch alle die, die sich selbst das Leben nehmen.
    Du meinst, sie folgen einer inneren Notwendigkeit?
    Ja, sie sind ohne Schuld.
    Schuld? Das ist auch ein religiöser Begriff.
    Ein von den Religionen missbrauchter Begriff.
    Du scheinst kein Freund der Religionen zu sein!?

    Die großen Religionen haben sich allesamt immer zu wichtig genommen, ihre Institutionen üben Macht über Menschen aus und ihre Dogmen sind Gefängnisse. Jedoch waren sie stets auch Sinnstifterinnen und haben so der Menschheit das Überleben erleichtert.
    Gesprächspause
    Was ist die größte Lüge der großen Religionen?
    Dass sie Gott darstellen als Richter, Strafvollzieher, Erlöser oder Versöhner. Dies dient nur ihrer eigenen Ideologie, dem eigenen Machterhalt.
    Du sprichst mit Selbstverständlichkeit von »Gott«. Es gibt ihn also?
    So, wie die meisten Menschen ihn sich vorstellen – nein.
    Aber es gibt

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