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Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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ihn?
    Ja.
    Und es gibt nur einen Gott?

    Es gibt einen, jedoch könnte ich auch sagen, es gibt tausend.
    Das verstehe ich nicht.
    Für das, was Gott ist, gibt es keine Zahl.
    Was ist Gott?
    Nichts.
    Nichts?
    Es gibt keinen personalen Gott – und Gott ist ohne Eigenschaften.
    Wo ist denn dieses Nichts?
    Überall.
    Auch hier und jetzt?
    Ja.
    Sogar ganz nahe bei mir?
    Es ist in dir.
    Das Nichts ist in mir?
    Ja.
    Das macht mir Angst.
    Nein. Der Gedanke sollte dich trösten. Das Nichts in dir ist das Wertvollste und Reinste, was du hast. Es ist dein Urgrund.
    Im Grunde bin ich nichts?
    Ja. Und so bist du mit allem verbunden.
    Kurze Gesprächspause – Ich wurde etwas ungehalten.
    Wie kann Gott nichts sein? Wenn er nichts ist, dann ist er nichts und eben kein Gott!
    Und wenn ich nichts bin, wie kann nichts mit allem verbunden sein?
    Der Tod schwieg einen Moment.
    Gott ist mit dem menschlichen Verstand nicht erfahrbar. Würdest du ihn begreifen, wäre es nicht Gott.
    Nun sprichst du ja doch wieder von Gott.
    Ich merke, dass dich der Begriff »Nichts« irritiert. Was hältst du von »Leere« oder »absoluter Wirklichkeit«?
    Gut, nehmen wir »absolute Wirklichkeit«. Die gibt es also?
    Allerdings. Sonst würden wir jetzt nicht sprechen. Auch ich bin ein Teil davon.
    Und ich auch?
    Ja, so wie alle Wesen, so wie alles, was du kennst oder was du nicht kennst – und wie alles, was du als Mensch nie begreifen wirst. Die absolute Wirklichkeit offenbart und entfaltet sich in Jeglichem. Sie ist zeitlos, allumfassend. Und dort gibt es kein Ich und kein Du mehr.
    Warum erklären uns die Religionen Gott nicht auf diese Weise?

    Das tun sie. Du musst nur genau hinschauen. Die großen Mystiker aller Religionen haben das Nichts, die Leere, die absolute Wirklichkeit erfahren, wissen darum und berichten davon. Ebenso manche Propheten.
    Davon habe ich noch nichts gehört.
    Ja, weil jede Religion auf sich bedacht ist. Nur die Weisen aller Glaubensrichtungen grenzen sich voneinander nicht mehr ab, sie umarmen sich. Sie haben verstanden.
    Kann ich die absolute Wirklichkeit nur über den religiösen Weg erfahren?
    O nein. Du brauchst keine Lehre, keine Gebete,
keine Gebote, keine Kirchen und keine Moscheen.
Schon gar keine religiösen Institutionen.
Du brauchst nur dich und die Stille.
    So habe ich es nie gesehen.
    Gesprächspause
    Wer hat die absolute Wirklichkeit erschaffen?

    Die Antwort darauf würde dein Gehirn zerbersten lassen.
    Dann schweig lieber. Und ich will zunächst über das Gesagte nachdenken.

4
    Immanuel Kant durfte bei meiner Recherche zu der Frage, was und wie die Geistesgrößen über den Tod gedacht hatten, natürlich nicht fehlen. Aber wie alles bei ihm wird auch diese Thematik äußerst kompliziert dargestellt. Ich verabscheue Kant für seine verquaste Sprache. Nie hat er sich die Mühe gemacht, einfach und verständlich zu schreiben. Anfangs war ich von seinen Formulierungskünsten noch beeindruckt gewesen. Ich meinte, in den Sprachgebilden höchste Brillanz und vollendete Intellektualität zu sehen. Mit der Zeit allerdings provozierte mich sein Stil. Brauchte ich doch manchmal nur für einen kleinen Abschnitt schon mehrere Stunden, um ihn zu verstehen. Hatte ich dann alles verstanden, schrie mich förmlich die Frage an: Warum sagt er es nicht klar und einfach? Möglich wäre es durchaus gewesen. Und somit erschien mir seine Formulierungsakrobatik zunehmend als Bluff.
    Wie sympathisch war mir da der Satz des Philosophen Ludwig Wittgenstein: »Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.« Obgleich auch sein Werk alles andere als leicht zugänglich ist. Aber zurück zu Kant. Das Rätsel, ob es eine Seele gibt, lässt er offen. Man könne weder die Existenz
noch die Nichtexistenz der Seele beweisen. Dennoch beschäftigt er sich mit der Frage nach der Unsterblichkeit. In seinem Werk Kritik der praktischen Vernunft meint er, der Mensch habe das Recht, an eine unsterbliche Seele zu glauben, obwohl man nicht wisse, ob diese existiere. Begründet wird das Recht damit, dass der Mensch durch diesen Glauben eine wichtige Ermutigung für sein moralisches Handeln erfahre, welches dann letztendlich in einer Glückseligkeit enden könnte. Damals verstand ich diese Überlegung wie folgt: Bemühen wir uns im Diesseits, uns im kantischen Sinne redlich zu verhalten, wartet im Jenseits eventuell eine Belohnung auf uns.
    Viele Kant-Interpreten allerdings würden

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