Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
diese einfache Schlussfolgerung sicher so nicht unterschreiben. Es ist, wie immer bei Kant, komplizierter: Der Mensch braucht Gott und den Glauben ans Jenseits, um moralisch handeln zu können. Im Grunde also ein Trick. Obwohl Gott und Jenseits nicht beweisbar sind, ermöglicht erst der Glaube an eine transzendente Wirklichkeit ein konsequent moralisches Handeln – und nur über diesen Weg kann der Mensch zur Glückseligkeit finden. Auf Erden oder vielleicht auch anderswo.
Das kam mir dann doch allzu bekannt vor – und ich wandte mich Michel de Montaigne zu, einem französischem Denker der frühen Neuzeit.
Für ihn ist der Tod etwas Furchtbares, aber er findet sich damit nicht ab. Sein Rezept gegen die Angst vor dem Tod heißt Auseinandersetzung mit dem Tod. Er sagt: »Rauben wir ihm gleich am Anfang seinen größten Vorteil: Nehmen wir ihm seine Fremdheit, machen wir mit ihm Bekanntschaft, denken wir an nichts so oft wie an den Tod.« Der Mensch möge sich also immer, in jeder Lebenslage auf den Tod besinnen. Er möge über ihn nachdenken, über ihn sprechen, über ihn diskutieren. Und so kommt Montaigne zu dem Schluss: »Philosophieren heißt sterben lernen.«
Klingt gut. Nur, nichts anderes hatte ich seit Jahren getan. Allerdings ohne Erfolg. Meine Angst war trotz aller Auseinandersetzung keineswegs geringer geworden. Für Montaigne bedeutet der Tod übrigens das absolute Ende des Menschen, und an ein Leben nach dem Tod glaubt er nicht.
Ich wurde der Philosophen und Denker allmählich müde. Sie brachten mich nicht weiter. Zwar suchte ich sporadisch immer wieder in großen Werken nach Antworten auf meine Fragen, bei Descartes, Leibnitz, Bruno, Kierkegaard, Heidegger oder Sartre zum Beispiel, aber vergeblich. Ich fand keine neuen Denkanstöße und keine überzeugenden Erklärungen.
Ich musste andere Wege gehen. Nur welche, das wusste ich nicht. Und so verstrichen die Jahre. Meine
atheistische Überzeugung legte ich peu à peu ab. Diese Weltsicht war mir zu einfach und irgendwann begriff ich endlich, dass der Atheismus eben auch nur eine Spielart des Glaubens darstellt. Die Fixierung der Atheisten auf die Naturwissenschaften, die Ratio und die Logik erschien mir nicht plausibel. So einfach war die Welt nicht zu erklären. Und in mir tobten die Fragen. Nicht nur die nach Tod, Seele und Jenseitigkeit, sondern auch ganz andere. Gibt es Parallelwelten zum Beispiel? Was war vor der Entstehung des Universums? Wohin dehnt sich das Weltall aus? Warum kann ich weder Raum- noch Zeitlosigkeit denken? Gibt es irgendwo andere Naturgesetze als die uns bekannten? Hat das menschliche Gehirn Sensoren für Übernatürliches? Warum werden so viele Astrophysiker im Laufe ihres Berufslebens zu gläubigen Menschen? Und so weiter.
Ich stürzte mich auf alles, was eventuell eine neue Erkenntnis oder zumindest einen interessanten Hinweis versprach.
Als ich die erste Fernsehdokumentation über das Thema »Nahtoderlebnisse« sah, war ich wie elektrisiert. Vielleicht lag hier der Schlüssel für das große Geheimnis, das der Tod ist; vielleicht könnten die Schilderungen der Fast-Verstorbenen den Beweis liefern, dass der Tod nicht Ende, sondern Übergang bedeutet. Und in der Tat waren die meisten Berichte erstaunlich und
nährten zunächst meine Hoffnung. Alle Betroffenen hatten etwas Gravierendes erlebt, einen schweren Unfall, einen Herzinfarkt, eine misslungene Operation. Sie waren für kurze Zeit klinisch tot und wurden dann wiederbelebt. Danach schilderten die Patienten fast einhellig ähnliche Erlebnisse. Sie hatten sich von ihrem menschlichen Körper losgelöst und schwebten wie in einem Astralkörper ein paar Meter über ihrem irdischen Leib. Von dort aus konnten sie das Geschehen »unten«, zum Beispiel in einem Operationssaal, genau beobachten. Fast alle erzählten auch von beeindruckenden Lichterlebnissen. Viele waren zielgerichtet in ein göttlich anmutendes Licht gelaufen, andere hatten das Gefühl, durch einen dunklen Tunnel zu treiben, an dessen Ende sie etwas Blendend-Strahlendes erwartete. Und immer wieder fielen Formulierungen wie »es herrschte eine wundervolle Stille«, »ich war ohne Angst und Schmerzen«, »ich fühlte mich vollkommen erfüllt von Frieden und Ruhe«.
Auch in meiner Sendung habe ich inzwischen mit vielen Anrufern gesprochen, die so genannte Nahtoderlebnisse hatten. Ihre Berichte gehen in eine ähnliche Richtung. Allerdings mit zwei Ausnahmen. Diese beiden Anrufer waren
Weitere Kostenlose Bücher