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Intimitaet und Verlangen

Intimitaet und Verlangen

Titel: Intimitaet und Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schnarch
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sie für sich und mich sorgen. Mein Vater hat ihr dabei überhaupt nicht geholfen. Vielleicht zögere ich, zu heiraten – und vielleicht will ich auch keinen Sex –, weil ich fürchte, dass sich Helen dann in meine Mutter verwandeln würde.« Tom glaubte, sich auf sicheren Boden gerettet zu haben.
    Ich fragte ihn: »Haben Sie Helen deshalb noch nicht gewählt?«
    Tom schaute mich überrascht an. »Auf die Idee, dass ich Helen noch nicht gewählt habe, bin ich bisher nicht gekommen. Vielleicht habe ich sie ja deshalb noch nicht gebeten, mich zu heiraten.«
    Den Partner wählen
    Ein Teil des Wollens besteht darin zu wählen . Wählen bedeutet, sich für eine Person unter den vielen, die Sie wollen könnten, zu entscheiden. Zu wählen erfordert, eine (hoffentlich wohlerwogene) Entscheidung zu treffen und so zu einer Auswahl zu gelangen. Wählen ist ein bewusster Willensakt und beinhaltet ein Urteil. Zu wählen ist ein koevolutiver Prozess der Selbstdefinition. Zu wählen ist Selbsterschaffung. Indem wir wählen, werden wir zu dem, was und wie wir sein wollen.
    Zu wählen bedeutet, dass wir uns für bestimmte Möglichkeiten entscheiden und dadurch auf andere verzichten. Durch die Wahl Ihres Partners geben Sie andere Möglichkeiten auf. Indem Sie eine Wahl treffen und dann entsprechend leben, werden Sie sich darüber klar, wer Sie sind, und werden erfahrener im Umgang mit den Vier Aspekten der Balance . Um zu bekommen, was Sie wollen, müssen Sie unter anderem akzeptieren, dass die Erfüllung Ihres Herzenswunschs mit dem Verzicht auf bestimmte Möglichkeiten verbunden ist.
    Vielen Menschen fällt es schwer, zu wollen und zu wählen. Testosteron und Östrogen wählen nicht, und Wählen und Sich-Binden sind verschiedene Dinge: Säugetiere suchen sich den besten Partner, den sie finden können, wenn ihre Hormone sie dazu drängen. Besonders intelligente Tiere verfügen möglicherweise über eine rudimentäre Fähigkeit zu wählen, doch nur wir Menschen sind im Besitz hochentwickelter Wahlmöglichkeiten.
    Im Laufe der soziobiologischen Anpassung, die vor Millionen von Jahren Körper und Geist unserer Vorfahren veränderte – was die Veränderung der biologischen Grundlagen der Sexualität bei der Frau einschloss –, wurde die Fähigkeit zu wählen zu einem Bestandteil des sexuellen Verlangens. Im Gegensatz zu anderen Primaten entwickelten Menschenfrauen den versteckten Eisprung, der es ihnen ermöglichte, im Bereich der Sexualität eigenständiger Entscheidungen zu treffen. Aufgrund dieses Zugewinns an Möglichkeiten, ihr Sexualleben zu beeinflussen, entwickelte auch ihr Gehirn entsprechende Kontrollfähigkeiten. 3
    Für ihre Wahlfähigkeit war ihr gespiegeltes Selbstempfinden wichtig: Sie lernten, ihr Verlangen durch Nuancen des sprachlichen Ausdrucks und des Verhaltens mitzuteilen, statt es nur durch das äußere Erscheinungsbild ihrer Genitalien kenntlich zu machen. Aufgrund dieser Nuancen erlangten sie auch das gewünschte gespiegelte Selbstempfinden.
    Aufgrund der Fähigkeit zu wählen konnte das entstehende Selbst des Menschen den Körper formen, den es bewohnte. Im Laufe von Millionen von Jahren der Auswahl ihrer Sexualpartner gelang es den Frauen, Männer hervorzubringen, die über zwei ihnen genehme Fähigkeiten verfügten. Die eine war, dass sie sich auf die in der Entwicklung begriffene Persönlichkeit der Frau einlassen konnten. Dies beschleunigte die Entwicklung des Präfrontalkortex. Die andere bestand – so nehmen einige Anthropologen an – darin, dass Frauen bevorzugtMänner mit langen und dicken Penissen gebaren. 4 Indem die Frauen in die Lage versetzt wurden, ihr sexuelles Verlangen bewusst zu steuern, wurde die Grundlage für unsere Fähigkeit geschaffen, Sex mit einer bestimmten Bedeutung (einem Sinn) zu verbinden. Die Wahlfähigkeit ist ein primärer Ausdruck des Selbstseins. Es ist unsere Art, uns zu definieren.
    Als Menschen anfingen, sich sexuellen Aktivitäten nicht mehr nur aufgrund von Wollust, Verliebtheit und Bindungsbedürfnissen zu widmen, machten sie es sich aus den genannten Gründen auch zur Gewohnheit, sexuelle Aktivitäten zu unterlassen . Sich dem Sex »von Selbst zu Selbst« zu nähern, statt nur von Genitalien zu Genitalien, erschloss bislang ungekannte Höhen, aber auch

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