Intimitaet und Verlangen
Abgründe. Als unser gespiegeltes Selbstempfinden sich herausbildete, gewannen Machtfragen, die bei allen Primaten eine Rolle spielen, eine völlig neuartige Bedeutung. Nun sind wir zwar grundsätzlich in der Lage, einen Partner zu wählen, doch nutzt deshalb noch nicht jeder Mensch diese Fähigkeit auch tatsächlich. In vielen Ehen wählt ein Partner; der andere wird gewählt, was ihm erspart, selbst wählen zu müssen.
Lassen Sie zu, dass Sie Ihren Partner wollen
Zahlreiche Partner mit schwachem Verlangen haben mir gesagt: »Ich verspüre kein Verlangen nach meinem Partner«, wodurch sie den Eindruck erweckten, dies beziehe sich speziell auf die Person ihres Partners. Bei genauerer Untersuchung stellte sich jedoch häufig heraus, dass ihr Verhalten im Grunde folgender Regel entspricht: Menschen, bei denen die Vier Aspekte der Balance schwach ausgeprägt sind, wollen nicht wollen , weil das Wollen sie nervös macht. Da die Partnerwahl bei ihnen Ãngste weckt, wählen sie nicht. Wenn Partner zusammenleben, bedeutet dies nicht zwingend, dass diese Menschen einander gewählt haben. Falls die Vier Aspekte bei ihnen schwach sind, empfinden sie es als zu gefährlich, eine Wahl zu treffen.
Im vorigen Kapitel wurde beschrieben, dass Verlangensprobleme auftreten, wenn Ihr Partner für Sie wichtiger wird, als Sie selbst für sich sind. Wenn Sie eine bestimmte Person wählen, nimmt die Bedeutung dieses Menschen für Sie exponentiell zu. Möglicherweise befinden Sie sich dann plötzlich in einer Situation, der Ihre Vier Aspekte nicht gewachsen sind.
In solch einer Situation befand sich Tom. Er wollte verhindern, dass Helen für ihn wichtiger würde als er selbst für sich war. AuÃerdem war er von einem gespiegelten Selbstempfinden abhängig. Er konnte mit der realen bzw. vorgestellten Verletzlichkeit, die eine Wahl mit sich bringt, nicht umgehen. Indem er es vermied, Helen zu wählen, gelang es ihm, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Tom beschränkte die Bedeutung, die er Helen in seinem Leben zugestand, um mit seinen Schwierigkeiten, bei sich selbst zu bleiben, fertigzuwerden. Unter den gegebenen Umständen gelang es ihm nur mit äuÃerster Mühe, sein emotionales Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Hätte er Helen gewählt, hätte er ihr dadurch einen privilegierten Status in seinem Leben eingeräumt. Tom wurde einfach nicht damit fertig, dass sie für ihn so wichtig werden könnte.
Durch das Wählen Ihrer Partnerin bringen Sie deren innere Welt in Ihre eigene mentale Realität. (Dabei ist es wichtig, dass Sie den Geist der anderen Person spiegeln können.) Wenn Sie über Ihr eigenes Leben mit all seinen Komplikationen, Frustrationen und Einschränkungen reflektieren, tragen Sie der inneren Welt Ihrer Partnerin Rechnung. Dies schränkt zwangsläufig Ihre Wahlmöglichkeiten ein (was wenig differenzierte Menschen als Kontrolliert- oder Ersticktwerden empfinden). Sie können Ihren Partner nicht wählen, wenn Sie nicht in der Lage sind, an sich selbst festzuhalten. Deshalb war es Tom unmöglich, Helen zu wählen: nicht, weil er sich nicht entscheiden konnte, sondern weil er mit der emotionalen Wirkung einer solchen Wahl nicht fertiggeworden wäre.
Dies hing mit seiner Vorgeschichte, seiner Beziehung zu seiner Mutter zusammen: Ihre ständige Wiederholung des Ausspruchs »Wenn du mich lieb hättest, würdest du mir geben, was ich will« hatte ihn dazu gebracht, sein emotionales Engagement stets strikt unter Kontrolle zu halten, um zu verhindern, dass es gegen ihn genutzt würde. Weil Helen für ihn im ersten Jahr ihres Zusammenlebens wesentlich wichtiger geworden war, hatte er sich sexuell von ihr zurückgezogen. Das Zunehmen seiner fürsorglichen Empfindungen und Aktivitäten Helen gegenüber, die zu einer zentraleren Gestalt in seinem Leben geworden war, hatte bei ihm die Angst hervorgerufen, sie könnte diese Entwicklung nutzen, um ihn zu manipulieren.
Ein instabiles Selbstempfinden nährt bei Menschen die Furcht, die Partnerin, die sie gewählt haben, könnte sie mit Haut und Haaren verschlingen. Ohne stabiles Selbstempfinden und die Fähigkeit, die eigenen Ãngste zu mäÃigen, haben Menschen in ihrem Leben nicht viele Wahlmöglichkeiten. Dies gilt auch für die Fähigkeit, einen Partner zu wählen.
Die Art, wie Tom und Helen zueinander fanden,
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