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Intimitaet und Verlangen

Intimitaet und Verlangen

Titel: Intimitaet und Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schnarch
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regelmäßig und telefonierte mehrmals in der Woche mit ihr.
    Als das Paar heiratete, war sich Joe über Sues schwierige Kindheit durchaus im Klaren, und er hatte bereits gelernt, mäßigend auf ihre Unsicherheit einzuwirken. Zwei vorherige Liebesbeziehungen von Sue waren daran gescheitert, dass die Männer irgendwann nicht mehr bereit waren, ihre Ängste und Befürchtungen zu ertragen. Aufgrund des Prozesses der einschränkenden Auswahl hatte Sue dann letztendlich doch einen Mann gefunden, der bereit war, diese Bürde auf sich zu nehmen.
    Joe selbst versuchte, mit einem persönlichen Problem fertigzuwerden: Seine erste Frau hatte ihm vorgeworfen, er habe kein Rückgrat. Nach seiner gescheiterten Ehe war Joe grundsätzlich bereit, alles hinzunehmen, was Sue wollte. Er bemühte sich, es ihr in jeder Hinsicht recht zu machen, und er war formbar wie Kitt. Wäre Ihre Kindheit wie die Joes gewesen, würden Sie sich vielleicht ebenso verhalten.
    Joes Eltern hatten sich ständig gestritten. Als Kind hatte er sich gefragt, weshalb sie sich nicht scheiden ließen. Dies hatten sie dann getan, als er zehn Jahre alt gewesen war. Doch offenbar ging es ihnen nach ihrer Trennung ebenso schlecht wie in der Ehe, weshalb sie einander 18 Monate später erneut heirateten. Joe hatte nicht gewusst, was er davon halten sollte. Er war deswegen gleichzeitig glücklich, peinlich berührt, wütend und verwirrt. Nach kurzer Zeit begannen die Streitereien erneut, und Joe glaubte, er würde den Verstand verlieren. Nach zwei Jahren ließen seine Eltern sich zum zweiten Mal scheiden. Joe war nun 14 Jahre alt. Er lebte danach bis zum Beginn seiner Collegezeit bei seiner Mutter. Seither hatte er mit seinen Eltern kaum noch Kontakt gehabt.
    Sue sah ihre Rolle in Joes Leben als die einer Haushälterin. Ihre Mutter forderte immer noch viel Zeit und Aufmerksamkeit von ihr. Doch Sue war wegen ihrer Kindheitserlebnisse ziemlich wütend auf sie. Dass sie in ihrer eigenen Beziehung ähnliche Dynamiken wie diejenigen, die sie in ihrer Ursprungsfamilie erlebt hatte, wiederholen könnte, kam ihr nie in den Sinn. Die Menschen in ihrer Umgebung mussten ihr gefällig sein, um sie zu beruhigen. In Sues und Jims gemeinsamer Beziehung ging es großenteils um Sues Ängste. Sue hasste den Gedanken, sie könne in irgendeiner Hinsicht ihrer Mutter ähneln, doch tatsächlich war dies so deutlich der Fall, dass sie damit nicht fertigwurde. Jeder entsprechende Hinweis Joes löste bei ihr einen starken Wutanfall aus.
    Sues Ängste und Unsicherheiten schränkten ihr Leben und das Leben der Menschen in ihrer Umgebung stark ein. Als ihre Kinder noch jünger gewesen waren, hatten sie ihre Freunde nicht zum Spielen besuchen dürfen, weil Sue fürchtete, ihnen könne dort etwas zustoßen. In den Urlaub fuhr die Familie grundsätzlich mit dem Auto, weil Sue Angst hatte zu fliegen. Diese Reisen waren oft nicht besonders erfreulich, weil Sue sich ständig über Joes Fahrweise beschwerte und weil sie ihre Kinder anschrie, sie sollten aufhören, sich zu zanken.
    Sues Unsicherheit war auch im Bett absolut bestimmend. Zwischen Joe und Sue kam es ungefähr einmal im Monat zum Sex, und beide erklärten übereinstimmend, ihr Sex sei gut, wenn er stattfinde. Joe hätte lieber einmal pro Woche Sex gehabt, und Sue hätte lieber bis zum nächsten Mal einige Monate abgewartet. Im Laufe der Zeit hatte Joe gelernt, sexuelle Annäherungsversuche zu unterlassen, weil sie Sue das Gefühl vermittelten, eine schlechte und unzulängliche Ehefrau zu sein. Sue hatte dazu gesagt, Joes Initiative erschwere es ihr, selbst »in Stimmung« zu kommen.
    Sex fand zwischen ihnen stets in der Missionarsposition und bei völliger Dunkelheit statt. Joe langweilte sich sexuell zu Tode. Er war es müde, Sue immer wieder zum Sex »herumkriegen« zu müssen. Der Versuch, sie zu animieren, einmal etwas Neues auszuprobieren, lohnte die ganze dazu erforderliche Mühe des Schmeichelns, Versprechens und Bestätigens nicht. Doch er konnte die Sache auch nicht einfach auf sich beruhen lassen, denn er wollte einerseits keine außerehelichen Affären beginnen und andererseits nicht sein gesamtes weiteres Leben lang auf Sex verzichten. Sue war der Ansicht, dass sie legitime Empfindungen und Sorgen zum Ausdruck brachte, die ein guter Ehemann verstehen würde, sofern er nicht nur daran

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