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Intimitaet und Verlangen

Intimitaet und Verlangen

Titel: Intimitaet und Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schnarch
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interessiert war, selbst einen Orgasmus zu bekommen.
    Sues und Joes Dynamiken gelangten beispielsweise in den wenigen Situationen zum Ausdruck, in denen es zwischen ihnen zum Vaginalverkehr a tergo kam. Auf diese Möglichkeit war Joe zu sprechen gekommen, als sie einmal wieder im Dunkeln in der Missionarsstellung verkehrten. Sue tat zunächst so, als hätte er nichts gesagt, in der Hoffnung, Joe werde nicht wieder darauf zurückkommen. Als er jedoch auf seinem Vorschlag beharrte, erklärte Sue sich widerwillig damit einverstanden. Doch bevor sie sich in diese Position begab, sagte sie, dies sei ihr peinlich, und sie fühle sich dabei sehr unsicher. Joe sollte ihr versichern, dass er an sie denken werde, statt sich in Phantasien über irgendeine andere Frau zu ergehen. Außerdem erklärte Sue, sie empfinde es als entwürdigend, sich hinzuknien, und sie frage sich, ob Joe insgeheim genau dies wolle. Sie wies ihn ausdrücklich darauf hin, dass sie dies nur für Joe zu tun bereit sei und dass er ihr dafür, dass sie ihm in dieser Hinsicht entgegenkomme, etwas schulde.
    15 Minuten später hatten sie immer noch nicht begonnen. Mittlerweile hatte Joe nicht nur seine Erektion, sondern auch seine Geduld verloren. Sue warf ihm vor, er sei nicht an ihren Gefühlen interessiert und wolle nur Sex. Ihre eigenen Unzulänglichkeitsgefühle überspielte sie, indem sie darauf verwies, dass er seine Erektion verloren habe und am sexuellen Verkehr von hinten folglich wohl sowieso nicht besonders interessiert sei. Vielleicht, so Sues Vermutung, habe er ja selbst irgendwelche Probleme mit dieser Art von »Hundesex«.
    Sue fühlte sich berechtigt, über ihre Ängste und ihre Unsicherheit zu reden, wann und wo immer sie wollte. Sie forderte von Joe, ihre Gefühle stets an die erste Stelle zu setzen und sie zu »unterstützen«. Wie ich bereits gesagt habe, neigen Menschen, die ihre Angst nicht regulieren können, dazu, die Menschen in ihrer Umgebung massiv unter Druck zu setzen. Dies hatte Sues Mutter jahrzehntelang mit ihrer Tochter gemacht.
    Wie viele Menschen fühlte sich auch Sue berechtigt, Sicherheit und eine Reduzierung ihrer Ängste zu fordern, bevor sie sich bereit erklärte, ein Risiko einzugehen. Sie sagte immer wieder zu Joe: »Du musst mir ein Gefühl von Sicherheit geben, denn nur dann fühle ich mich in der Lage, mit dir Sex zu haben oder dich zu wollen.« Dies war mehr als nur ein Ausdruck ihres Narzissmus. Menschen wie Sue, die mit chronischer Angst aufwachsen, hoffen und beten darum, dass sie in einer guten Ehe schließlich keine Angst, Unsicherheit oder Verletzlichkeit mehr empfinden werden.
    Das Paradox, das darin besteht, die Sicherheit vom Partner zu bekommen
    Der Versuch, die eigene Sicherheit vom Partner zu beziehen, perpetuiert die Unsicherheit. Je intensiver Sie sich darum bemühen, umso verletzlicher und unsicherer werden Sie. Das damit verbundene Festhalten und Umklammern des Partners treibt diesen zur Flucht, und die dadurch eingeleitete negative Entwicklung zerstört viele Ehen. Die einzige Sicherheit, auf die Sie wirklich zählen können, ist Ihre Beziehung zu sich selbst. Echte Sicherheit gibt Ihnen nur die Weiterentwicklung der Vier Aspekte der Balance .
    Sicherheit und Geborgenheit in der Ehe
    Im Rahmen unserer ersten Auseinandersetzung mit der Koevolution haben Sie sich vielleicht vorgestellt, dass Partner einander nähren, akzeptieren und »beeltern«. Doch wie wir gesehen haben, sind Menschen, bei denen die Vier Aspekte nur schwach entwickelt sind, kaum in der Lage, andere zu nähren oder zu akzeptieren. Koevolution findet auf andere Weise statt.
    Partner »helfen« einander eher auf viele andere Arten zu wachsen, als indem sie einander bewusst in ihren Entwicklungsprozessen unterstützen. Ihre Mängel und Ihre Weigerung zu wachsen, Ihr gespiegeltes Selbstempfinden und Ihre Probleme mit der Regulierung von Angst spornen Ihren Partner ständig dazu an, sich weiterzuentwickeln. Indem er sich bemüht, Sie zu akzeptieren und mit Ihnen zurechtzukommen, wirkt er ständig auf seine Toleranzschwelle ein. Irgendwann jedoch erreicht er seine Grenzen, und wenn er sich dann weigert , Ihnen noch weiter entgegenzukommen, beeinflusst dies sowohl Ihre als auch seine Toleranzschwelle positiv. Er wird dazu gezwungen, ein »Selbst« zu definieren und eine Position zu vertreten, und Sie dazu, sich weiterzuentwickeln,

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