Intimitaet und Verlangen
Wochen später redete sie immer noch ununterbrochen davon, wie sehr Joe sie verletzt habe. Ihr Glauben an ihre Ehe sei erschüttert. Sie werde sich bei ihm nie mehr sicher fühlen können, und sie werde ihm dies nie vergeben. Man könne Männern einfach nicht vertrauen. Sue machte Joe nach Strich und Faden fertig.
Joe klagte, er sei ein Gefangener von Sues innerer »Sündendatenbank«. Ihre Aufzeichnungen reichten bis in die Zeit zurück, in der sie sich kennengelernt hatten. Täglich kamen neue Eintragungen hinzu, und alte »Verletzungen« wurden nie gelöscht. Mit Hilfe dieser »Datenbank« eroberte Sue bei jedem Streit eine überlegene Position. Lag sie mit ihrer Sicht bezüglich einer aktuellen Situation falsch, kramte sie aus der »Datenbank« irgendein früheres Ereignis hervor und regte sich erneut darüber auf.
Viele Paare können nicht akzeptieren und vergeben
Warum konnten Joe und Sue die Unzulänglichkeiten ihres Partners nicht einfach akzeptieren und einander vergeben, statt die Situation immer weiter eskalieren zu lassen? Das fragten sich die beiden selbst. Sie versuchten es zwar, scheiterten aber kläglich damit. Es war einfach mehr, als sie verkraften konnten. Die Vier Aspekte waren bei ihnen nicht weit genug entwickelt. Man kann nicht vergeben oder akzeptieren,
â  wenn man nicht in der Lage ist, ein stabiles und flexibles Selbst aufrechtzuerhalten (weshalb man darauf angewiesen ist, dass der Partner ständig etwas falsch macht und immer wieder um Vergebung bittet);
â  wenn man keinen stillen Geist und kein ruhiges Herz hat (und nie über die eigenen »emotionalen Verletzungen« hinwegkommt);
â  wenn man nicht zu maÃvollen Reaktionen in der Lage ist (so dass man dem Partner »an die Kehle geht«, sobald er auf einen Regelverstoà hinweist);
â  wenn man keinen Schmerz ertragen kann, den zu ertragen sich lohnt (weil man Groll hegt und den Partner als Feind sieht).
Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass Partner einander zu akzeptieren und zu vergeben versuchen. Probieren Sie es einmal aus; wenn es funktioniert, ist Ihr Problem gelöst. Falls es Ihnen jedoch nicht gelingt oder Sie nicht das erreichen, was Sie zu erreichen hofften, empfehle ich Ihnen, den Ansatz, der in diesem Buch beschrieben wird, einmal ernsthaft zu erproben.
Der Versuch, Paaren mit schlechter innerer Balance Akzeptieren und Vergeben beizubringen, führt zu nichts, weil sie ihre Unfähigkeit zu akzeptieren und zu vergeben als einen zusätzlichen Beleg für ihre Unzulänglichkeit ansehen. Menschen mit schlechter innerer Balance sehnen sich danach, dass ihr Partner ihnen vergibt und sie akzeptiert. Sie glauben an Funktionsübertragung â zumindest solange sie sich auf der Empfängerseite befinden. Wenn Ihr Partner Sie akzeptiert und Ihnen vergibt, verbessert das kurzfristig Ihre Funktionsfähigkeit, doch diese Wirkung hält nicht an, und wenn sie nachlässt, demoralisiert Sie dies letztlich noch stärker.
Wo also kommt »Akzeptieren« ins Spiel? Akzeptieren â und die Fähigkeit dazu â manifestiert sich nach einem Konflikt, nicht davor oder in seinem Verlauf. Einen Konflikt zu akzeptieren ist keine Möglichkeit, ihn zu lösen, sondern diese Haltung stellt sich nach Auflösung des Konflikts ein. Zu akzeptieren beinhaltet, dass der Präfrontalkortex dem limbischen System die Botschaft übermittelt, still zu sein, und dabei spielen die Vier Aspekte eine wichtige Rolle.
Menschen, die sich von einem gespiegelten Selbstempfinden abhängig machen, fällt es schwer, über Dinge hinwegzukommen, weil sie ihre Identität verlieren, sobald sich ihre Gefühle verändern. Sie können nicht akzeptieren und vergeben, weil sie in ihrer Funktionsweise von ihren negativsten Tendenzen bestimmt werden. Allerdings weigert sich manchmal auch das Beste in uns zu akzeptieren und zu vergeben. Diese Weigerung kann ein wichtiges Frühstadiumim Prozess der Koevolution von Paaren sein, die im Zustand emotionaler Verschmelzung leben. In der Beziehung zwischen Sue und Joe ging es um mehr als um Sues Ãngste.
Ausgewogenheit zwischen Wohlgefühl, Sicherheit und Entwicklung
Man kann sich Beziehungen als aus zwei deutlich unterscheidbaren Modi bestehend vorstellen. Der eine ist der Wohlfühl- und Sicherheitsmodus, in dem Ihre Beziehung Ihnen vertraut bleibt und Sie
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