Intruder 1
tatsächlich die Erfüllung eines Jugendtraums, ganz egal, wie man es betrachtete. Auch wenn aus der Harley eine Suzuki geworden war und auf den ersten zweihundert Kilometern anstelle von »Steppenwölfen« hauptsächlich genervte Truckfahrer die Begleitmelodie beitrugen. Abgesehen von dem Van-Fahrer in Phoenix traf das, was Frank über die defensiv fahrenden Amis gesagt hatte, durchaus zu, aber es gab eine Ausnahme: Trucks. Mike hatte irgendwann aufgehört, in den Rückspiegel zu sehen. Es war ganz und gar kein beruhigendes Gefühl, einen Vierzigtonner darin zu erblicken, der auf weniger als zwei Meter Abstand auffuhr und über einen zusätzlichen Hebel für die Lichthupe zu verfügen schien, dafür aber über so wenig Bremsen wie sein Fahrer Verstand.
Der Mann von der Motorradvermietung hatte sie ganz genau darauf vorbereitet. Die Route 17 war gebirgig. Lang gestreckte Steigungen wechselten sich mit ebenso langen und steilen Gefällstrecken ab. Die gewaltigen Trucks hatten trotz ihrer zahllosen Pferdestärken manchmal alle Mühe, die Steigungen zu schaffen, und die Fahrer dachten nicht daran abzubremsen, wenn sie ihre schwerfälligen Gefährte endlich einmal auf Touren hatten; schon gar nicht wegen dreier Motorräder, die vor ihnen mit den vorgeschriebenen fünfundsechzig Meilen über einen Highway zuckelten.
Von diesem einen Wermutstropfen abgesehen, war es ein Tag wie aus dem Bilderbuch gewesen - ein Bilderbuch für die großen Jungs, die am liebsten mit Spielzeugen aus Chrom und Stahl und mindestens 100 PS spielten.
Seit sie Phoenix verlassen hatten, waren sie abwechselnd durch Gebirge, malerische Wälder, trockene Wüstengebiete und dann wieder durch Landstriche gefahren, die sich kaum von denen im weitaus kühleren Mitteleuropa unterschieden.
Nach einer Weile hatte selbst Mike seine anfängliche Scheu vor dem unbekannten Motorrad verloren und nach einer weiteren, etwas länger dauernden Weile sogar seine Angst vor den Truckdrivern. Alles, was danach kam, war ein Traum.
Nicht einmal der Umstand, dass sie praktisch keine Chance mehr hatten, ihr erstes Fahrziel vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, vermochte das Hochgefühl zu dämpfen, das von Mike Besitz ergriffen hatte; ein Gefühl, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte: eine Art stiller Euphorie, die sich, von innen heraus kommend, langsam in seinem ganzen Körper
ausgebreitet hatte.
Stefan, der von Anfang an vorne geblieben war, drückte kurz auf die Hupe und gab dann das vereinbarte Zeichen, bei nächster Gelegenheit rechts heranzufahren. Mike sah automatisch auf den Tachometer und rechnete nach, wie viele Meilen sie seit ihrem letzten Tankstopp zurückgelegt hatten.
Seiner Einschätzung nach hatten sie noch für siebzig oder achtzig Kilometer Sprit in den Tanks. In Deutschland hätte er keinen Gedanken daran verschwendet, jetzt schon
nachzutanken, aber Stefan hatte natürlich Recht: In diesem Land war alles ein bisschen größer - auch die Entfernungen zwischen den Tankstellen. Er drängte das Easy-Rider-Gefühl zurück (nicht weit genug, um es nicht noch immer in vollen Zügen genießen zu können) und konzentrierte sich dann wieder etwas mehr auf seine Umgebung.
Während der letzten zwei oder drei Stunden war das Motorradfahren selbst mehr und mehr in den Hintergrund getreten; war nur noch ein Teil des Ganzen - ein unverzichtbarer vielleicht, aber längst nicht mehr die Hauptsache.
Mike war fast enttäuscht, aber nur fast. Flagstaff, Arizona, klang vielleicht nach Wildem Westen und Lagerfeuerromantik, aber zumindest auf den ersten Blick war es eine Stadt, die ebenso gut in Deutschland, Belgien oder Italien oder irgendeinem anderen Land der Welt hätte liegen können. Die Straßen waren vielleicht ein wenig breiter, als er es gewohnt war, die Autos etwas größer (und vor allem lauter), und es gab sogar zwei oder drei Leute, die mit Stetson und Cowboystiefeln herumliefen: Aber das war auch schon alles. Doch gerade das scheinbar so Vertraute an dieser Umgebung machte die Situation auf schwer zu fassende Weise noch exotischer.
Er entdeckte eine Texaco-Tankstelle am Ende der Straße und erwartete, dass Stefan sie ansteuern würde, aber ihr selbst ernannter Scout fuhr plötzlich deutlich schneller und bog an der nächsten Ampel nach rechts ab, ohne die Bremse auch nur zu berühren und - um den Spaß komplett zu machen - das Ganze auch noch bei Rot. Frank folgte ihm nur unwesentlich langsamer und auf die gleiche gesetzwidrige Weise. Mike
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