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Intruder 1

Intruder 1

Titel: Intruder 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zerbrechlichen Kinderleib hinweg und kippte schließlich über den Punkt hinaus, an dem die Erdanziehung der Fliehkraft überlegen war. Mike wurde regelrecht aus dem Sattel katapultiert, rollte sich instinktiv zu einem Ball zusammen und prallte so hart auf, dass er fast das Bewusstsein verlor. Etwas schrammte knirschend über seinen Helm, und von irgendwo her - unendlich weit entfernt und auf eine sonderbar distanzierte Art erschreckend - hörte er das Klirren von Glas und einen dumpfen, metallischen Aufprall.
    Er hatte nicht das Gefühl, tatsächlich das Bewusstsein verloren zu haben. Sein Zeitgefühl erfuhr keine Unterbrechung, aber für ein oder zwei Sekunden schien er von jeglichen Sinneseindrücken abgeschnitten zu sein. Das Geräusch, mit dem sich das Motorrad in den Fels rammte, verklang nicht auf normale Weise, sondern war einfach von einem Moment zum anderen nicht mehr da. Der Felsen neben seinem Gesicht verschwand, um eine Sekunde später und ein wenig versetzt wieder aufzutauchen. Es war wie ein unsauberer Schnitt in einem Film. Vielleicht der Moment, den die Zeit brauchte, um wieder zu ihrem normalen Verlauf zurückzukehren. Vielleicht auch die Zeit, die Mikes Bewusstsein brauchte, um die Halluzination abzuschütteln und wieder in die Realität zurückzufinden.
    Mike blieb eine weitere Sekunde reglos und mit ange-haltenem Atem auf dem Rücken liegen und lauschte in sich hinein. Er hatte keine Schmerzen. Das hatte nichts zu bedeuten, wie er wusste. Er war in seinem Leben noch nie ernsthaft verletzt worden, aber er wusste, dass Menschen schon mit den schrecklichsten Verletzungen aufgestanden und fröhlich herumspaziert waren, ohne auch nur das Geringste zu spüren.
    Ein ganz normaler Schutzmechanismus, den die Natur entwickelt hatte, damit auch Dummköpfe wie er wenigstens die Chance bekamen, Extremsituationen zu überleben. Er konnte Knochenbrüche davongetragen haben, möglicherweise auch Schlimmeres. Aber er atmete. Sein Herz schlug, er konnte sehen, und als er es versuchte, konnte er sich auch bewegen; und das war im Moment alles, was zählte.
    Das und der Junge, den er überfahren hatte.
    Mike stemmte sich auf die Ellbogen hoch und drehte langsam, Millimeter für Millimeter, den Kopf, und seine letzte, verzweifelte Hoffnung zerplatzte. Es war keine Einbildung gewesen. Kein letzter böser Streich, den ihm seine Fantasie gespielt hatte. Der Junge lag zwei Meter entfernt auf der Seite.
    Er hatte sich fast zu einer Fötus-Haltung zusammengerollt, nur sein linker Arm, der gebrochen sein musste, stand in unnatürlicher Haltung von seiner Schulter ab.
    Vielleicht war es ja wirklich nur der Arm. Großer Gott, lass es nur den Arm sein, bitte nicht mehr als den Arm! Er war über etwas ... Weiches gefahren, etwas, das schon unter dem Gewicht des Vorderrades zerbrochen war, aber vielleicht war es ja wirklich nur die Schulter gewesen. Oder eine Rippe.
    Mike stemmte sich in die Höhe, biss die Zähne zusammen, als nun doch ein stechender Schmerz durch seine Hüfte schoss, und humpelte auf den reglos daliegenden Jungen zu. Warum bewegte er sich nicht? Warum schrie er nicht oder stöhnte wenigstens?
    Er erreichte den Jungen, ließ sich neben ihm auf die Knie fallen und streckte die Arme aus, aber er wagte es nicht, ihn zu berühren. Der Junge bewegte sich noch immer nicht. Der Boden um ihn herum war voller Blut. Mike sah noch etwas, etwas, das so grässlich und zugleich so bizarr war, dass er einen kleinen, keuchenden Laut ausstieß: Das Gewicht des Motorrades hatte den Jungen regelrecht in den Boden gepresst.
    Wenn er ihn bewegte, dann mussten seine Umrisse deutlich sichtbar zurückbleiben, in den Boden gestanzt wie die Silhouette von Karl Coyote, der bei seiner endlosen Jagd nach dem Roadrunner wieder einmal von einer meilenhohen Felswand gestürzt war. Es war ein vollkommen idiotisches Bild, aber es stieg ganz unwillkürlich in Mike auf, so bizarr erschien ihm die Situation.
    Das alles passiert nicht wirklich, dachte er hysterisch. Der Junge war nicht wirklich da! Er konnte es nicht sein. Es war ganz und gar ausgeschlossen, dass er zufällig hier aufgetaucht war. Die Chancen für einen solchen Zufall waren astronomisch gering. Lass ihn nicht da sein. Bitte, bitte Gott, auch wenn ich nicht an dich glaube, lass ihn nicht da sein!
    Mit aller Willenskraft führte er die Bewegung zu Ende und berührte weiches, nasses Fleisch. Mike keuchte vor Entsetzen, beugte sich jedoch trotzdem weiter vor und griff auch nach der

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