Irgendwann ist Schluss
wie die Büsche auseinandergeschoben wurden. Es war Gonzales. Obwohl ich mit seinem Erscheinen gerechnet hatte, zuckte ich zusammen. Er aber beachtete mich nicht. Er kam mit Holz zurück, das er neben das Feuer legte. Stand aufrecht dort und sah mich nicht an. Blickte in die Flammen. Die Stille zwischen uns wuchs und verband sich mit dem Qualm des Feuers. Da hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich fuhr herum und sah Kuttner und Wischnewski. Sie stürzten auf mich zu. Ich schrie. Sie warfen mich zu Boden, drückten mein Gesicht in den Dreck. Einer setzte sich auf meinen Rücken, der andere auf meine Beine, zog mir den rechten Schuh aus, dann den Strumpf. Alles geschah langsam. Ich hob den Kopf, schnappte nach Luft, Gonzales zeigte mir ein Messer und ging langsam um mich herum. Ich fühlte seine Hand an meinem nackten Fuß. Und dann kam der Schmerz. Ein entsetzlicher Schmerz in meinem Fuß, ich wusste nicht, was geschah, ich schrie nur noch, und erst nach einer Weile merkte ich, dass die Männer fort waren, ich konnte den Kopf heben und um Atem ringen. Ich hörte ein Knistern und sah einen Zeh im Feuer, meinen Zeh, meinen kleinen Zeh. Ich setzte mich auf. Als ich das Blut aus dem Stumpf meines Zehs rinnen sah, wälzte ich mich zum Feuer, um zu versuchen, den Zeh zu retten, griff mit der Rechten in die Flammen und schlug ihn heraus, aber er war schon schwarz und gekrümmt. Ich ließ ihn liegen. Ich musste den Blutfluss stoppen und riss mir das Hemd vom Leib, wickelte es um die Wunde, stand auf und humpelte zurück zum Haus.
Marc Antonius stützte mich und führte mich zu einem Sessel. Er rief den Arzt, der kurze Zeit später erschien. Es ist derselbe Arzt, der auch meine leblos lebende Mutter versorgt. Er gab mir eine Spritze, legte einen Verband an und fragte mich, was geschehen sei. Ich erfand eine halbgare Geschichte von einer Scherbe, in die ich getreten sei, aber ich sah an seinen Augen, dass er mir nicht glaubte. Ich nahm Schmerztabletten. Zugleich erwachte in mir ein großer Trotz, ich wusste nicht, woher er kam, dieser Trotz. Nicht mit mir, dachte ich plötzlich, nicht mit mir, irgendwann ist Schluss, ich werde mich wehren, ich werde nicht zulassen, dass ihr mich weiter verstümmelt, ich werde nicht zulassen, dass ich eines Tages im Rollstuhl neben dem Bett meiner Mutter sitze und ihre Hand halten und darauf warten muss, dass die Maschinen ihren letzten Atemzug tun, nein, dachte ich, wenn ihr Ernst macht, dann mache ich auch Ernst, kommt doch, Gonzales, Kuttner, Wischnewski und wer auch immer sich euch angeschlossen hat, kommt doch und kämpft, ich werde mich vorbereiten, ich werde gewappnet sein, ich habe noch nicht mal angefangen, mich zu verteidigen, vielleicht ist es so, dass ich nichts gegen euch unternehmen kann, aber etwas anderes kann ich tun, etwas, das niemand so gut beherrscht wie ich, ich kann mich in mich selbst zurückziehen, ich kann in meinen Panzer kriechen, ich kann werden, was ich immer schon war, eine Schildkröte, ein Igel, eine Schnecke, ein Tier, das den Schutz vor allem Bösen in sich selbst findet, ihr werdet staunen, wenn ich mit mir fertig bin.
Um mich abzukühlen, nahm ich eine kalte Dusche, wobei ich mich auf einen Hocker setzte und den verletzten Fuß aus der Kabine hielt. Dann zog ich mir einen Schlafanzug an. In meinem Kopf lag mit einem Schlag ein genauer Plan für das, was ich tun wollte. Ich überlegte, ob ich nun, hier, schon jetzt, den Plan aufschreiben sollte, aber ich dachte, wenn ich zuerst aufschreibe, was ich tun will, verliere ich vielleicht die Kraft, es wirklich zu tun. Ich kenne die beruhigende Macht der Worte. Immerhin weiß ich jetzt: Sie sind zu allem bereit, Gonzales, Kuttner und Wischnewski. Sie sind bereit, mir die Beine zu nehmen. Sie haben mich überrumpelt. Sie haben mich geschlagen. Sie haben mir Spinnen in meine Wohnung gebracht. Sie haben mich betäubt. Sie haben mich verfolgt. Sie haben mir einen Zeh abgeschnitten. Es werden weitere Taten folgen, an die ich jetzt nicht denken mag. Aber noch bin ich da, noch bin ich am Leben, noch habe ich Kraft, noch kann ich sie daran hindern, mir weiteren Schaden zuzufügen. Ich habe einen Zeh verloren, na und? Einen Zeh! Jeder Bergsteiger hat im ewigen Eis schon mal einen Zeh verloren. Ein Zeh ist gar nichts. Ein Zeh ist überflüssig. Ein Zeh ist ein Zehntel der Füße, ist nichts im Vergleich zum Bein. Auf neun Zehen steht man genauso gut wie auf zehn. Wer sagt, dass man zehn Zehen haben muss? Gibt es nicht
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