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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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Körper und die Freude aus dem Herzen.
    Der Henner ist wirklich ein schöner Mann. Letztens im Laden fiel mir das auf: ein grober, massiger Körper, mit einer steten Kraft in den Bewegungen, doch das Gesicht ganz fein. Die Augen tief und ausdrucksvoll und dunkel, kleine Falten rundherum, ein bitterer Zug um den Mund, doch wenn er lächelt, ist davon nichts mehr zu sehen. Man sieht ihm das Trinken nicht an.
    Da dreht er sich plötzlich um. Die Doggen springen wie auf ein unsichtbares Kommando hoch und sind mit wenigen Sätzen am Koppelzaun. »Henner!«, schreie ich, »hol sie zurück!« Er lacht und wirft den Kopf nach hinten.
    »Die mögen keine mageren Mädchen!«, ruft er mir zu, pfeift jedoch nach ihnen.
    Mir zittern die Beine, mir ist so, die Marianne würde sagen, blümerant zumute, ich sacke auf den Boden, und da kommen mir die Tränen in Strömen. Ich weiß nicht, was mir geschieht, ich weine und weine und halte die Arme vors Gesicht und komme erst wieder zu mir, als ich die Hände vom Henner fühle und mich sein herber, schwerer Männergeruch viel zu dicht umhüllt. Er streicht mir über den Kopf – niemals hätte ich ihm eine solche Sanftheit zugetraut – und zieht mich langsam nach oben. Ich wage nicht, die Augen zu öffnen, und er flüstert beruhigend auf mich ein: »Ist schon gut, Maria, es ist nichts passiert, ist gut, ich bring dich jetzt zum Hof.« Ich kann kaum gehen, er hält mich im Arm, und seine Hand berührt meine Brust. Das fühlt sich an wie ein Brandmal. Ich bleibe stehen. Er sagt: »Schschtt …«, hält meinen Arm fest und streicht in einer einzigen fließenden Bewegung mit seiner Hand von meinem Hals abwärts über die Brust, den Bauch, hinab zum Oberschenkel und dann ein bisschen höher. Ich reiße mich los und renne, doch schon hat er mich wieder, und diesmal sieht er mich anders an.
    »Es tut mir leid«, sagt er, »ich wollte dich nicht erschrecken, es tut mir wirklich leid, sag’s niemandem, Maria, hörst du?« Dann hält er mich mit ausgestreckten Armen fest und redet leise weiter: »Es ist doch nichts passiert, es ist nichts passiert!« Ich nicke stumm, er lässt mich los, ich gehe und drehe mich nicht mehr um.
    *
    Auf dem Hof gibt es eine Aufregung. Siegfried hat unter dem Lenkrad des Wartburg einen durchsichtigen dünnen Schlauch entdeckt. Er war dem Schlauch bis zu seinem Ursprung gefolgt und hatte einen Plastikbehälter mit Wodka unter der Kühlerhaube gefunden. Natürlich kam nur einer infrage, der ihn dort installiert haben musste. Als ich den Hof betrete, sehe ich Siegfried und Alfred neben der Haustür stehen: Alfred mit gesenktem Kopf und Siegfried wild gestikulierend. Ich schleiche mich an ihnen vorbei – sie bemerken mich gar nicht –, gehe die Treppen zum Boden hinauf und nehme die Karamasows mit ins Bett. Der Starez Sossima ist gestorben, vorher jedoch hat er die Klosterbrüder in der gesammelten Weisheit seines Lebens unterwiesen. »Brüder, schreckt nicht zurück vor der Sünde der Menschen, liebet den Menschen auch in seiner Sünde, denn solches ist schon ein Abbild der Liebe Gottes und die höchste Liebe auf Erden.«
    Und dann das Unerhörte: Der Starez verwest noch am Tag seines Todes!
    Zur Vesperzeit kommen wir alle im Garten zusammen. Ein Kuchen mit frischen Erdbeeren wird aufgetan, dazu Kaffee und Wasser. Marianne fragt mich, wie es bei der Mutter war. Aber als ich versuche, eine Antwort zu formulieren, bricht ein Lachen aus mir heraus, das alle am Tisch befremdet. Siegfried schaut mich ernst an, und ich versuche unter Tränen zu erklären, was die Madame Chochlakowa über den Starez gesagt hat: nämlich, dass sie ein solches Verhalten nicht erwartet hätte. Ein solches Verhalten! Ich breche fast zusammen vor Lachen. Als ob der Starez bewusst verwest wäre, als hätte er sich gesagt: Denen spiele ich einen Streich, ich verwese einfach sofort, statt erst in einigen Tagen oder gar nicht, wie es sich für einen Heiligen gehört. Die Eltern werfen sich Blicke zu, Frieda tut, als wäre nichts, keiner lacht.
    Johannes schmunzelt, so gut es eben geht mit vollem Erdbeerkuchenmund. Auf seinem Schoß liegt die Kamera, die er seit Tagen nicht mehr aus der Hand legt. Man war entsetzt über das ausgegebene Geld, mit dem er ein Auto hätte kaufen oder reisen sollen, so hatte es die Frieda gewollt. Nach Griechenland, hatte sie gesagt, solle er einmal fahren. Dort sei es paradiesisch schön; das waren ihre Worte, pa-ra-die-sisch schön! Im Fernsehen kam eine Reisesendung

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