Irgendwann werden wir uns alles erzählen
dem Ältesten ihrer vier Söhne. Es stimmt also, er heiratet diese Nastja, eine Neunzehnjährige. Der Großvater schüttelt den Kopf. Die Großmutter fragt, ob ich zurückkomme, jetzt, wo doch das Haus erneuert wird, sogar ein Wasserklosett bekämen wir, sagt sie. Und das alte Waschhaus würde zu einem Geräteschuppen umgebaut. Bisher hat die Großmutter dort einmal pro Woche Waschtag gehalten. Es war so heiß darinnen, dass der Wasserdampf in riesigen Schwaden an die Decke stieg und von dort wieder heruntertropfte. Der Bottich mit der Wäsche war fast so groß wie die Großmutter selbst. Sie rührte die Wäsche mit einem breiten, langen Holzstiel im Kreis, erst rechts herum, dann links herum, so lange, bis sie sauber war. Besonders schmutzige Stücke wurden über dem Waschbrett geschrubbt.
Auch Mutter bekommt nun ein eigenes Badezimmer mit Dusche. Der alte Badeofen und die Wanne, in der wir jeden Freitagabend nacheinander gebadet haben, werden rausgerissen. Der kleine Raum hinter der großelterlichen Küche soll nun ein Gästezimmer werden. Dass Mutter wieder hier lebt, ist für alle nicht leicht. Ein paar Jahre besaßen wir ein eigenes Haus, drüben im neuen Dorf. Ich war zehn, als wir dort einzogen, bis dahin hatten wir bei den Großeltern gelebt. Ich bekam ein schönes helles Zimmer in der zweiten Etage, ein Klappbett, blau-weiß karierte Gardinen und eine fliederfarbene Blümchentapete. Das Wohnzimmer hatte einen offenen Kamin, in dem zur Weihnachtszeit täglich ein Feuer angeschürt wurde. Es war ein ganz neues Haus, und Vater hatte es selbst gebaut.
Nach der Scheidung, als Vater endgültig in die Sowjetunion verschwand, blieben wir dort. Ich war dreizehn, Mutter dreiunddreißig. Ein halbes Jahr später jedoch packten wir unsere Sachen in Kisten, und Großmutter richtete unsere alten Zimmer wieder her. Das Haus war nicht zu halten gewesen ohne Vaters Geld. Meine Mutter hat es verkauft.
Das Dachbodenzimmer bei den Großeltern habe ich mir selbst ausgesucht. Ich war dort ganz allein, die anderen Bodenkammern standen voller alter Möbel und Plunder, niemand bewohnte sie. Es stand nun auch wieder ein Nachtgeschirr unter dem Bett, denn der Weg zum Plumpsklo im Vorhaus war lang und kalt. Am Morgen wurden die Verrichtungen der Nacht dann ausgeschüttet, und Großmutter spülte die Geschirre mit heißem Wasser aus.
Mich störte unser Rückschritt nicht besonders, Mutter jedoch litt entsetzlich.
Ich höre ihre Schritte – so kleine, dünne, vorsichtige Schritte, als schliche sie sich an. Doch eigentlich läuft sie immer so. Meinen Koffer hat sie schon mitgebracht, sein Gewicht zieht sie seitlich nach unten; sie lässt ihn vor mir fallen. Die Großeltern geben mir Grüße für die Frieda mit auf den Weg, von der Traudel und dem Lorenz, sagen sie noch zweimal dazu, als kennte ich ihre Namen nicht. Mutter nickt zum Zeichen des Aufbruchs. Mir wird wieder leichter zumute.
Mutter holt jetzt den Trabant aus der Garage. Der Vater hat ihn nicht haben wollen, er hätte ihn sowieso nicht mit in die Sowjetunion nehmen können, das waren ja Tausende Kilometer, zu viel für das alte Auto. Der Tank ist fast leer, doch für den Weg bis zum Hof wird es noch reichen – es geht fast nur bergab. Ich setze mich neben sie auf den Beifahrersitz, klemme den Koffer zwischen meine Beine und kurbele schnell das Fenster herunter. Warum ich das tue, weiß ich nicht, denn nun friert es mich ein wenig.
Einige Hundert Meter vor dem Brendel-Hof schaltet meine Mutter den Motor aus und lässt das Auto rollen. Sie will Benzin sparen, hier, wo es nur noch bergab geht. Dann sehe ich, wie sie den Zündschlüssel aus dem Schloss zieht. Seltsam ist das.
Auf der linken Seite erhebt sich die Straßenböschung, rechts erstrecken sich Wiesen und Wald abwärts ins Tal. Plötzlich höre ich ein Klacken. Die Lenkradsperre rastet ein. Die Straße macht nun eine Rechtsbiegung, wir aber fahren geradeaus. Ich fasse meine Mutter am Arm, sie sieht zu mir herüber, mit weit aufgerissenen Augen, dann fährt der Trabant die Böschung hinauf, langsam, sehr langsam, neigt sich nach rechts, kippt erst auf die Seite und schließlich, in Zeitlupentempo, aufs Dach. Wir sind nicht angegurtet, und so fallen wir, ganz lautlos, erst seitwärts, dann kopfüber und bleiben schließlich schreckerstarrt liegen. Einen Moment lang ist es ganz still. Ich höre sie nicht einmal atmen.
Ich bin es, die zuerst versucht, die Tür zu öffnen, doch nachdem ich es einige Male erfolglos
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