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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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der DDR gehörten die Brendels zu den wenigen, die keine Genossenschaftsbauern waren. Die Nutztiere allein reichten aber nicht zum Leben, da hatte Siegfried die Idee mit dem Sägewerk. Doch der Henner hat jahrelang in der LPG gearbeitet, bis er ganz auf den Hof zurückging, weil alle anderen gestorben waren. Das war ihm wohl auch recht.
    Heinrich und Frieda haben nach der Enteignung knapp drei viertel Hektar Land behalten dürfen; das war viel, und dennoch musste der Tierbestand reduziert werden. Das restliche Land, mindestens vierzig Hektar, ging an die LPG. Die großen Heuwiesen am Fluss hat der Siegfried nur gepachtet. Der Familie vom Henner war es ähnlich ergangen.
    Auf dem Hof, das habe ich gehört, hat er ein bisschen aufgeräumt. Die Doggen sind derzeit friedlich, die Pferde sauber und gepflegt. Ich darf einmal zum Reiten kommen, hat er gesagt, mit dem Johannes natürlich, doch ich traue seinen Pferden nicht.
    Die Frieda entlässt mich für eine Stunde aus der düstren Küche, da gehe ich mit dem Johannes zum Fluss. Noch vor ein paar Wochen sah das Wasser jeden Tag anders aus: grün, blau, gelb, rostrot, und es stank nach verfaulten Eiern. Das lag an der Chemiefabrik flussaufwärts, dort hat meine Mutter gearbeitet. Nun stehen die Rinder an den heißen Tagen im Uferkraut und trinken sich satt.
    Ich weiß jetzt, warum sich der Starez vor Dmitri verneigt hat. Kurz vor seinem Tod sagte er zu Alexej: »Ich habe mich gestern vor seinem großen künftigen Leiden verneigt.« Alexej war ganz außer sich vor Sorge.
    Wir sitzen am Ufer und halten die Füße ins Wasser. Johannes sieht mich nur noch durch die Kamera an. Jede Geste wird zum Bild, jeder Blick zur Unendlichkeit. Er löst mich aus der Zeit und hält einen Augenblick fest, der gleich danach unwiederbringlich verloren ist – jedes Bild ein kleiner Tod.
    Später schlendern wir die Wiesen entlang bis zu den Bahnschienen. Wir laufen auf den Schienen bis zu einer Brücke. Sie überquert diagonal den Fluss und ist etwa fünfzig Meter lang. Man muss in der Mitte des Gleises laufen, über die morschen Bahnschwellen, um hinüberzukommen; links und rechts gibt es fast keinen Ausweichraum. Wir legen den Kopf auf die Schienen, um das Summen zu hören und die leichte Vibration zu spüren, falls ein Zug naht. Kein Summen. Ein Streckengeher ist auch nicht zu sehen. In den Fluss zu springen, um dem Zug zu entgehen, wäre keine Rettung, er ist an dieser Stelle flach und voller großer Steine. Aber dahinter, drüben auf der anderen Seite, gibt es die schönsten Wiesenblumen und einen Platz, den nur wir kennen. Als wir ihn erreichen, ziehe ich mich aus und bade mit den Füßen im Fluss. Johannes ruft mir irgendetwas zu, er nestelt an seiner Kamera herum, ich rufe zurück, er solle auch kommen, es sei herrlich hier drin, aber er hört mich nicht.
    Wir kommen erst am Abend zurück. Frieda grummelt ein bisschen, wo sie denn gewesen sei, die Maria, man hätte sie ja wirklich brauchen können. Dann winkt sie ab und sagt: »Wenn sie noch ein wenig Schnittlauch aus dem Garten holen könnte …« Ich spute mich.
    Zum Abendessen gibt es Schwarzbrot mit Butter, dünne Scheiben hart gekochter Eier darauf und Schnittlauchstreu darüber. Dazu Salat mit einem Öl-Essig-Wasser-Zucker-Dressing, wobei wir das Wort Dressing erst kürzlich gelernt haben. Dem Siegfried wird außerdem ein Schnitzel gebraten. Wir sitzen am Tisch im Hof, zwischen Blumenkübeln, als Siegfried sagt, dass er sich wirklich auf Hartmut freut. Er wäre auch gern abgehauen damals und sei nur geblieben, weil es der Mutter sonst das Herz gebrochen hätte. So sagt er es. Frieda regt sich nicht. Marianne schaut von einem zum anderen, überlegt wohl, was zu sagen sei, und entscheidet sich, besser zu schweigen. Morgen werden sie kommen, die Westler, aus Rosenheim, aus Bayern.
    Ich entschließe mich, doch noch einmal zur Mutter zu gehen, um den Koffer zu holen. Es sind einige Kleider darin, die ich tragen möchte, wenn der Besuch hier sein wird. Ich habe gehört, wie man sich drüben über uns lustig macht; das Wort »Zonengabi« kann ich nicht vergessen. Es ist noch herrlich sommerhell, doch eine deutliche Abendkühle weht vom Fluss her über den Hof. Ich leihe mir ein Tuch von der Marianne, sage dem Johannes, dass es spät werden könnte, und mache mich auf den Weg.
    Als ich ankomme, sitzen die Großeltern auf der Bank am Haus. Ich halte mich nur kurz bei ihnen auf, erzähle das Nötigste, frage sie nach dem Vater, dem Ulrich,

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