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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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und kein Wort mehr mit mir sprach, doch das kümmerte mich nicht, weil ich da schon den Johannes kannte.
    Sowohl für den Henner als auch für mich hatte das eine entscheidende Folge: Wir hätten nie das Abitur machen können und niemals studieren dürfen. Für mich änderte der Fall der Mauer alles. Für den Henner kam alles zu spät.
    Ich weiß nicht, ob er studiert hätte. Klug genug ist er sicher gewesen, aber er war auch hin und her gerissen zwischen dem Hof und dieser verlockenden anderen Welt, die ihm die Bücher eröffneten. So ist er dann doch manchmal in die Stadt gefahren, wo er irgendwann den Lutz und den Bühnenmaler kennenlernte. Mit denen konnte er Dinge besprechen, von denen zu Hause niemand etwas verstand. Was er wohl getan hätte, wenn er siebzehn gewesen wäre, als die Mauer fiel?
    Doch davon will er nichts hören. Er spricht ohnehin nicht gern über sich. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis ich all das aus ihm herausbekommen habe. Ein seltsamer Mensch ist er schon, der Henner. Von mir weiß er mehr. Nur das Wichtigste, das kommt mir nicht über die Lippen.
    Ich gehe jetzt ganz selbstverständlich von einem Hof zum andern. Alles kann zur Gewohnheit werden. Ein schlechtes Gewissen habe ich nur noch, wenn Johannes seine Hände auf meinen Körper legt. Die letzten Male habe ich ihn immer abgewiesen. Er nimmt es mit einer Gelassenheit, die grenzt an Gleichgültigkeit, wie ich finde. Ich bin froh darüber und auch wieder nicht. Vielleicht ist das die echte Liebe, weil er mich nimmt, wie ich bin?
    Und der Henner? Den nehme ich, wie er ist.
    Ich liebe den Henner. Das ist es, was ich ihm nicht sagen kann. Ich liebe ihn wirklich, sogar wenn er betrunken ist, auch wenn er schweigt und erst recht, wenn er mich berührt. Ich liebe ihn. So ist das.

Kapitel 21
    BEI DEN BRENDELS gehen Veränderungen vor sich; Siegfried plant Großes.
    Wir sitzen wieder einmal gemeinsam am Tisch, und der Siegfried redet mehr als in all den Monaten vorher. Ich erkenne ihn gar nicht mehr wieder.
    Von der LPG und einigen Leuten aus dem Dorf will er Land pachten. Dreißig Hektar müssen es mindestens sein, hauptsächlich Weiden, einige Hektar Ackerland und einen Hektar für den Gemüseanbau. »Ich plane eine weite Fruchtfolge«, sagt er gewichtig. Keiner weiß, was er damit meint, und er erklärt uns, das sei wichtig für den Boden und würde helfen, Schädlinge gering zu halten. Zwei Jahre Kleegras, dann Weizen, Gerste, Erbsen, Roggen und wieder zwei Jahre Kleegras. Auch vom Stickstoffgehalt im Boden spricht er und von natürlicher Düngung. Aber so wie auf dem Demeterhof solle es nicht werden. Den »anthroposophischen Überbau« bräuchte er nicht, das sei ihm zu verschroben. Das Dutzend Kühe will er auf fünfundzwanzig aufstocken. Von dem Milchertrag will er Käse und Joghurt herstellen. Oben in den Räumen der Frieda soll eine Käseküche eingerichtet werden und im Keller ein Lagerraum. Das ist alles keine Zauberei, wie er immer wieder betont. Der Stall muss umgebaut werden, für die Fahrzeuge will er eine eigene Garage haben. Die Kühe brauchen einen ordentlichen Futtergang, und auch die Melkkammer soll erneuert werden. Ein paar Schafe will er vorerst behalten, deutscher Schafskäse ist selten, wie er sagt. Er hat ausgerechnet, dass er mit dem zusätzlichen Land alles Futter selbst herstellen kann. Selbst das Kraftfutter, das neben dem Heu benötigt wird. Silage bräuchte er nicht, die sei auch nicht gut für den Rohmilchkäse.
    Marianne staunt und schweigt. Frieda und Alfred haben Mühe, seinen Ausführungen zu folgen. Lukas schenkt dem Vater bewundernde Blicke, und Johannes hat den Kopf gesenkt. Ich glaube, er hat Angst, nun doch nicht von hier fortzukommen.
    Nun denkt er laut darüber nach, der Siegfried, die Kälber doch nicht gleich zu verkaufen, sondern hier auf dem Hof zu mästen und nach zwei bis drei Jahren zu schlachten und auch das Fleisch selbst anzubieten. Doch da würde es mit dem Heu knapp. »Was meint ihr dazu?«, fragt er plötzlich.
    Schweigen.
    Doch er fährt schon fort. Eine Menge Arbeit käme auf uns alle zu, und als er alle sagt, sieht er jedem von uns einmal tief in die Augen. Auch mir. Ich weiß nicht, was er sich vorstellt, und ich muss ziemlich dumm geschaut haben, denn jetzt lacht er schallend und meint: »Die Maria übernimmt den ersten Melkgang, fünf Uhr früh, und in die Käseherstellung wird sie auch eingeführt, wie gesagt, das ist alles keine …« – »… Zauberei!«, ergänzt die Marianne

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