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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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antworte, doch ich zweifle keinen Moment.
    Nein, sage ich, mitgehen könne ich nicht, hier gebe es meine Schule, den Johannes und alle Menschen, die mir etwas bedeuten, außer ihr natürlich. Nun weint sie noch mehr, und ich bin so unglücklich und traurig über die wenige Zeit, die wir in den letzten Monaten miteinander verbracht haben. Sie versucht nicht, mich umzustimmen. Das hätte auch keinen Sinn. Dann gebe ich mir alle Mühe, ihr das Gefühl zu geben, ich käme sehr gut ohne sie zurecht, auch wenn ich sie schrecklich vermissen würde, und außerdem seien es nur fünf Stunden mit dem Zug, und schon wäre ich bei ihr, und das würde ich auch oft machen, in allen Ferien und später, ja später, während aller Urlaube, und überhaupt sei das alles doch sehr schön für sie, endlich dahin zurückzugehen, wohin sie sich immer gesehnt hatte.
    Ja, sagt sie dann, das hätte sie sich immer gewünscht, und ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, je so ein Leuchten in ihrem Gesicht gesehen zu haben.
    Natürlich ginge es nicht schnell. Der Umzug sei für das nächste Frühjahr geplant, jetzt wolle sie erst einmal hinfahren und sich umsehen, alte Freunde besuchen, eine Bewerbung schreiben und alles Nötige in die Wege leiten.
    Ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Ich freue mich und freue mich nicht. Ich habe Angst davor, keine Zuflucht mehr zu haben, keine Mutter mehr, die mich tröstet, wenn alles elend ist. Wer soll das nun tun? Sie redet weiter, sie redet schnell und viel mehr als sonst. Immer wieder streicht sie sich die Haare und Tränen aus dem Gesicht, abwechselnd, erst die Tränen, dann die Haare. Mit den Brendels müsse sie reden, meint sie, da wäre einiges zu klären, und ein Konto bräuchte ich, für das Kindergeld und die Unterstützung, die sie mir schicken will jeden Monat, bis die Schule geschafft sei.
    So vieles sei zu bedenken!
    Doch daran denke ich nicht. Ich frage mich nur immer wieder, wer nun da sein wird, wenn mich der Henner doch einmal fortschickt. Fast sage ich ihr alles, doch sie redet weiter, von der Chance, die sie noch einmal bekäme, und den alten Freunden, von denen viele noch dort lebten, und wer weiß, vielleicht wäre auch ein Mann dabei, den sie lieben könnte, manche seien ja geschieden, früher hätte es viele gegeben, die sie gewollt hätten. »Ach …«, sagt sie, »das wäre so schön, noch einmal eine Liebe zu finden.«
    Das kann ich so gut verstehen. Das wünsche ich ihr sehr. Und dann sehe ich auf die Uhr, und es ist kurz nach halb eins, und obwohl ich noch vor wenigen Minuten die verpasste Zeit mit meiner Mutter bedauert habe, drängt es mich nun weg von ihr und hin zu diesem Mann, der genau im richtigen Alter für sie wäre. Ich versichere ihr immer wieder und mit Nachdruck, sie müsse sich keine Sorgen um mich machen, ich wäre bei den Brendels mindestens so gut aufgehoben wie bei ihr. Während ich das sage, hole ich meine Tasche unter dem Stuhl hervor, und als sie endlich aufhört mit Weinen, gehe ich. Eigentlich renne ich. Den kurzen Weg durch den Wald und die Felsen hinunter, über die Brücke die Wiesen entlang zu dem Mann, der mich schon erwartet.

Kapitel 22
    ES IST NUN fast ein Uhr, eine Stunde später als sonst. Er sitzt am Tisch. Vor ihm steht ein Teller mit Essen, und auch ein zweites Gedeck steht dort. Für mich. Als ich hereinkomme, laufe ich zu ihm und werfe mich ihm an den Hals. Und dann weine ich mindestens so sehr wie die Mutter. Aber ich glaube, noch viel mehr. In diesem Moment ist er alles für mich, Vater, Mutter, Geliebter und Freund und auch ein bisschen Feind.
    Ich habe jetzt so furchtbare Angst, auch ihn zu verlieren; ich verliere fast den Verstand dabei. Hundert Mal muss er mir sagen, wie sehr er mich will, mich, nur mich. Ich will es sofort spüren, stelle die Wahrheit seines Verlangens auf die Probe. Ich nehme seine Hände und schiebe sie unter mein Kleid. Er zögert einen Moment – selbst das ist schon zu viel für mich. Ich nehme meine Tasche und gehe wieder zur Tür, und dort hält er mich auf und führt weiter, was ich begonnen habe. Ich gebe mich ihm mit einer solchen Verzweiflung hin, das ist uns beiden ein wenig unheimlich.
    Als ich später erschöpft daliege, betrachtet er mich und sagt: »So eine schöne Frau bist du geworden …«
    Es ist das erste Mal, dass er mich Frau nennt. Wenn er wüsste, wie sehr ich mich gerade als Kind fühle, dann wäre er wohl enttäuscht.
    Jetzt muss ich erwachsen werden. Gerade jetzt, wo es nach vorne

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