Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

Titel: IRRE SEELEN - Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
Vom Netzwerk:
grünen Dach wirkte durch den Schleier wie der Turm einer osteuropäischen Metropole. Die Turmuhr verriet ihr, dass es erst 06:05 Uhr war. Sie hatte eine mächtige Rotweinfahne und ihr Kopf dröhnte wie beim Spontanbesuch eines Bienenschwarms.
    Rhoda schaute zurück in Richtung Bett. Ein fetter Arm, so weiß wie Fleischwurst und von einer dünnen grauen Haarschicht überzogen, lugte unter der Decke hervor. Eine Seiko-Uhr aus Edelstahl protzte am Gelenk. Am Ringfinger steckte ein Ehering. Rhoda wusste nicht, ob sie sich vor sich selbst ekeln sollte oder nicht – und wie stark. Sie hatte etwas Ähnliches schon so oft getan, dass ihr Schuldgefühl relativ abgestumpft war. Und sie würde es wieder tun, sobald sich die Gelegenheit ergab, keine Frage.
    Rhoda verharrte lange im perlfarbenen Lichtschein am Fenster. Man konnte sie nicht unbedingt schön nennen. In ihrem Gesicht prangte eine viel zu große Hakennase und ihre Lippen waren extrem wulstig, ihr Kinn ähnlich schwach ausgeprägt wie bei Popeyes Olivia. Zu Hause hatte sie ein paar Fotos ihrer Großmutter aus Breslau aus jungen Tagen gesehen. Die Ähnlichkeit war verblüffend.
    Doch sie besaß einen spektakulären Körper. Ihre Brüste waren riesig, rund und fest und ihre Hüfte so schmal, dass die meisten Männer sie mit den Händen umschließen konnten. Ihre langen Beine mit schlanken Schenkeln und wohlgeformten Knöcheln kamen der Perfektion nahe.
    Mit 13 fiel ihr zum ersten Mal auf, dass die Männer geil auf sie waren. Sie wollten zwar nicht mit ihr gesehen werden und sie beispielsweise zum Tanzen ausführen, weil sie ihnen zu gewöhnlich, hasenzahnig und kraushaarig erschien. Außerdem klang es wie das Schreien eines Esels, wenn sie lachte. Doch die Männer gaben alles dafür, ihre Brüste berühren und die Hände unter ihren Rock schieben zu dürfen. Sie hatte sogar ihren Vater einmal dabei ertappt, wie er mit erschreckender Faszination durch die Badezimmertür gestiert hatte, als sie einen Spaltbreit offenstand. Eine Hand lag auf seinem Herzen, Whiskey vernebelte ihm den Verstand und seine Augen waren blutunterlaufen.
    Rhoda sehnte sich nach Freundschaften, Partnerschaften, nach Zuneigung, Liebe und Leidenschaft, genau wie jedes andere Mädchen auch. Nur weil sie nicht das Gesicht einer Ballkönigin besaß, hieß das noch lange nicht, dass sie keine emotionalen Bedürfnisse hatte. Doch wenn Männer Rhoda ansahen, dann sahen sie ihr nie ins Gesicht. Und nicht ein einziges Mal hatte man sie auf eine Party mitgenommen. Mit 15 hatte sie einen Entschluss gefasst: Wenn die Männer ihr nicht das geben wollten, was sie brauchte, musste sie sich eben von ihnen holen, was sie konnte.
    Sie war ganz offen hinter jedem einzelnen Jungen aus ihrer Abschlussklasse in der High School her gewesen (und hatte sie auch alle ins Bett bekommen), bis auf zwei, die schwul waren. Selbst drei ihrer Lehrer landeten mit ihr im Bett. Jetzt, wo sie an der University of Wisconsin in Milwaukee Psychologie studierte, hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, ihre wenigen freien Abende im Hyatt oder im Sheraton zu verbringen oder in den Läden auf der Grand Avenue einsame Geschäftsleute aufzugabeln. Wenn es dort Kosmetika, Schmuck oder auch Dessous zu kaufen gab, waren sie eine gute Anlaufstelle. Denn dort machten sich die Männer ungeschickt auf die Suche nach Geschenken, die sie ihren Frauen zu Hause mitbringen konnten.
    Rhoda gab sich stets nett und hilfsbereit. »Wissen Sie, was ich ihr kaufen würde, wenn ich Sie wäre …?«
    Doch in den Hotelzimmern machte sie sich einen Spaß daraus, sie zu demütigen. Rhoda ließ die Männer kriechen. Sie nannte sie Abschaum, gab ihnen Schimpfnamen und ließ sie die widerwärtigsten Dinge tun, die ihr in den Sinn kamen. Und das Seltsame war: Sie taten immer, was sie von ihnen verlangte. Einige von ihnen bewunderten sie sogar so sehr, dass sie Rhoda als stets verfügbarer Domina ein eigenes Apartment finanzieren wollten.
    Aber sie lehnte solche Angebote immer ab. Sie wollte niemandem gehören. Dennoch verdiente sie Tausende von Dollar und erwartete von jedem Mann ein teures Geschenk. Schmuck, Parfüm oder ein Kleid.
    Rhoda trat vom Fenster zurück und ging ins Badezimmer, ohne den schlafenden Mann auf dem Bett eines weiteren Blickes zu würdigen. Sie wusste noch nicht einmal mehr, wie er hieß, sondern erinnerte sich nur an seinen kleinen, haarigen Körper und daran, dass er in Tränen ausgebrochen war, nachdem sie mit dem Sex fertig gewesen waren.

Weitere Kostenlose Bücher