IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
Körper nur noch aus Fett, Schleim, zertrümmerten Knochen und zermahlenen Sehnen bestand. Er grübelte darüber nach, bis er starb. Und er starb unter höllischen Qualen.
Als ihn die Gnade des Todes ereilt hatte, herrschte wieder Schweigen in der Tiefgarage. Kaum hörbar entfernte sich das Sssssschhhhhh – sssssschhhhhh – sssssschhhh von menschlichem Fleisch, das durch feste Wände geschleppt wurde.
Officer Gene Spanier von der Milwaukee Police fuhr um 02:30 Uhr am nächsten Morgen von der Arbeit nach Hause in Richtung Norden, als er auf der Lisbon Avenue einen Betrunkenen zu sehen glaubte, der auf dem Gehsteig lag. Langsam lenkte er sein Auto an den Straßenrand, drehte sich in seinem Sitz herum und warf einen Blick zurück, während er den Motor im Leerlauf ließ. Entweder ein Betrunkener oder eine Leiche, soweit er das beurteilen konnte. Doch es war niemand als vermisst gemeldet worden. Obwohl die Anwohner ohne Hemmungen über Betrunkene hinwegsteigen würden, wollten sie doch keine Leichen auf ihrem schönen Trottoir liegen haben.
Officer Spanier war unheimlich müde. Er war um elf Uhr vormittags zu seiner Schicht angetreten und wollte nur noch ins Bett. Doch da war dieser Mensch, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Bürgersteig lag. Seine Arme lagen eng am Körper. Was, wenn er wirklich tot war und Officer Spanier einfach weiterfuhr?
Er stieß ein zynisches Stoßgebet gen Himmel aus. Oh Herr, du schenkst Bankräubern Jachten und Zuhältern Cadillacs. Warum bleiben für mich immer nur Pommes und abgestandener Kaffee übrig? Amen. Er setzte mit seinem klapprigen, acht Jahre alten Oldsmobile ein Stück zurück, bis es genau neben der Gestalt zum Stehen kam, und begutachtete sie durch das verschlossene Fenster.
War sie betrunken oder tot? Das ließ sich von hier aus kaum beurteilen. Er sah nicht, ob sie atmete, und ihr Gesicht wies eine sehr merkwürdige Färbung auf – es war fast genauso grau wie der Beton, auf dem sie lag. Ihr Mantel hatte ebenfalls die Farbe von Beton.
Es handelte sich um einen stämmigen Mann, vielleicht 35 Jahre alt, möglicherweise einen Polen oder Deutschen.
Officer Spanier fuhr noch ein Stück weiter zurück und bemerkte, dass der Mann keine Schuhe trug. Seine Füße? Auch grau wie Beton.
Ein Betrunkener, was denn sonst? Kein Blut, keine Kopfverletzung zu sehen. Aber sein Gesicht wirkte aschfahl und sein Brustkorb schien sich nicht zu heben und zu senken, wenn er atmete. Und selbst wenn er nicht tot, sondern nur betrunken war, konnte er immer noch eine Alkoholvergiftung haben. Officer Spanier appellierte an sich selbst, auszusteigen, um dem Mann das Leben zu retten.
Wenn man überhaupt von Leben retten sprechen kann, wenn es um einen Mann geht, der um 02:30 Uhr morgens sturzbetrunken auf der Lisbon Avenue liegt, fügte er in Gedanken sarkastisch hinzu. Ihm hatte das Gleichnis vom barmherzigen Samariter noch nie gefallen. Den meisten Polizisten ging es ganz ähnlich. In der Regel wollten die Leute, die sie retteten, gar nicht gerettet werden –oder aber sie waren es einfach nicht wert. Landstreicher, Junkies, Möchtegern-Selbstmörder, arbeitslose Brauereiangestellte, verrückte Polacken.
Officer Spanier war 39 Jahre und 51 Wochen alt und hatte gerade seine zweite Scheidung hinter sich gebracht. Er wachte jeden Morgen zwei Stunden zu früh auf, lag dann lange wach und grübelte über sein Leben nach. Nächste Woche wurde er 40. Er lebte in einer Zweiraumwohnung. Über ihm wohnte ein Sopran-Saxofonist und gegenüber eine Prostituierte. Der Sopran-Saxofonist spielte besonders erbärmliche Versionen von Roland-Kirk-Nummern und die Prostituierte trug enge, weiße, ganz kurze Shorts, die ihr wie ein scharfes Messer in die Beine schnitten. Beide waren ihm herzlich egal. Er trank viel Jack Daniel’s, wenn er nicht im Dienst war, und amüsierte sich großartig über Miami Vice . Klar, denn weder ein weißer Armani-Anzug noch ein roter Ferrari Daytona waren zwangsläufig nötig, um ein glücklicher Cop zu sein. Man brauchte einfach nur eine tolle Ehefrau, die einen nicht nervte, nicht das Essen anbrennen ließ und sich nicht angewidert wegdrehte, wenn man zu ihr ins Bett stieg und aussah wie Frankenstein persönlich, der auf die Three Stooges trifft. Eine Frau, die nicht versuchte, dich mit einem Nachthemd aus dem Repertoire einer alten Jungfer ins Zölibat zu treiben. Außerdem brauchte kein Mensch diese verdammten Milwaukee-Winter mit Wind, der wie eiskalte, in Wodka
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