IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
als wüsste er nicht, wen Jack mit »sie« gemeint hatte. Doch Jack war so direkt und mit Nachdruck zur Sache gekommen, dass Ausflüchte unmöglich schienen.
»Sie sind noch da? «,wiederholte er ungläubig.
»Sie wissen, was mit ihnen passiert ist, oder?«, fragte Jack. »Sie wissen, wohin sie verschwunden sind.«
»Ja, ich weiß, wohin sie verschwunden sind«, gab Pater Bell zu.
»Möchten Sie es mir erzählen?«
Plötzlich wurde Pater Bell bewusst, was für schreckliche Neuigkeiten er da gerade erfahren hatte. »Sie sind immer noch da drinnen, sagen Sie? Nach all diesen Jahren? Mein Gott … ich hätte nie geglaubt, dass sie das überleben. Sie müssten doch längst verhungert sein. Sie hätten innerhalb weniger Tage sterben sollen. Immer noch da! Mein Gott, immer noch da!«
»Erzählen Sie mir davon!«, insistierte Jack. »Das müssen Sie.«
»Oho, mein Freund, da bin ich mir nicht so sicher. Ich weiß nicht, ob ich es kann. Wenn sie immer noch dort sind … Der Herr stehe uns bei!«
»Pater Bell, ich muss meinen Sohn retten.«
»Ich bin kein Priester mehr, Mr. Reed. Ich bin nicht verpflichtet, Ihnen zu helfen.«
»Was meinen Sie damit, verpflichtet? «, wollte Jack wissen. »Er ist noch ein Kind!«
»Sie kennen sie nicht, Mr. Reed. Sie kennen sie nicht so gut wie ich.«
»Versuchen Sie mir gerade zu erklären, dass Sie mir Ihre Unterstützung verweigern wollen? Sie sind 88, mein Sohn ist 9. Zählt das überhaupt nicht? Er hat noch sein ganzes Leben vor sich!«
Ohne Vorwarnung klammerte sich Pater Bell an die Lehnen seines Sessels, wand sich von einer Seite zur anderen und bellte heiser: »Ich habe schreckliche Angst, Mr. Reed! Ich habe Todesangst! Mein Gott, wissen Sie, um was Sie mich da bitten? Sie sind verrückt! Sie sind verrückt! Sie sind fast schon so verrückt wie sie!«
Jack stand auf, ging durchs Zimmer und beugte sich über den alten Mann. Pater Bell sah zu ihm auf, mied dann aber hastig seinen Blick. Mit mühsam erzwungener Geduld sagte Jack: »Es tut Ihnen doch nicht weh, wenn Sie mir einfach nur davon berichten.«
»Ah, nein. Aber wenn sie es herausfinden …«
»Sie werden es nicht herausfinden. Wie zum Teufel sollten sie auch?«
Pater Bell schüttelte den Kopf. »Sie werden es wissen. Sie werden es spüren! Niemand außer mir weiß, was damals vorgefallen ist. Einer von ihnen hat es mir gebeichtet. Deshalb konnte ich es auch der Polizei nicht verraten. Es ist der Grund, weshalb ich meine Priesterschaft aufgegeben habe. Ich musste mit ansehen, wie der arme Elmer Estergomy vom Staat an den Pranger gestellt und seine ganze Familie in den Ruin getrieben wurde. Und ich konnte nichts zu seiner Verteidigung vorbringen, weil ich dann das Beichtgeheimnis verletzt hätte.«
»Verdammt, Pater Bell, Sie müssen es mir jetzt erzählen«, forderte Jack den ehemaligen Priester unwirsch auf. »Denn, bei Gott, wenn Sie es nicht tun, wird mein Sohn von diesen Irren umgebracht und dann werde ich Sie töten. Das verspreche ich, so wahr ich hier vor Ihnen stehe!«
Niemals zuvor hatte Jack jemanden derart bedroht und auf ihn wirkten seine eigenen Worte fast ebenso furchteinflößend wie auf Pater Bell. Doch als der alte Mann flüsterte: »Sie werden sie nicht freilassen, oder? Egal was passiert, Sie werden sie nicht freilassen?«, wusste er, dass Pater Bell ihm verraten würde, was er wissen musste.
Jack zog seinen Stuhl etwas näher heran und setzte sich wieder. »Der Patient, dem Sie damals die Beichte abgenommen haben, war das vielleicht Quintus Miller?«
»Woher wissen Sie das?« Pater Bells Stimme bebte vor Angst.
»Nur geraten. Essie Estergomy erzählte mir, dass er vermutlich der Härteste und auch der Intelligenteste der ganzen Gruppe war.«
»Ja, das war er eindeutig. Quintus Miller, mein Gott. Er war ein außergewöhnlicher Mann. Klein, aber ziemlich breit, unheimlich muskulös. Er sah aus wie ein Bodybuilder. Sein Hals war so dick wie der eines Stiers! Schwarzes, streng zurückgekämmtes Haar mit einem sorgfältig gezogenen Mittelscheitel. Das war damals gerade modern. Gesichtszüge hart wie Stein. Ein stechender Blick, völlig ausdruckslose Augen ohne jede Spur von Mitleid. Und ein Tattoo auf der Brust, wie Sie noch nie eins gesehen haben. Zwei tätowierte Hände, die von hinten nach ihm zu greifen schienen und dabei seinen Bauch weit aufrissen. Seine Eingeweide waren in Rot, Gelb und Blau tätowiert; sein Magen, seine Leber, seine Gedärme. Mir fuhr es eiskalt den Rücken runter,
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