IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
hatte, nur etwa zwei Jahrhunderte früher. In diesem Moment verblasste die Erinnerung an seinen alten Herrn wie ein zu lange belichtetes Foto.
Er streckte eine Hand in den Regen. Da kam eine knochige Hand aus der Dunkelheit und hielt ihn am Handgelenk fest. »Wuaah!«, schrie er erschrocken auf und prallte schmerzhaft gegen die Mauer des Hauses.
Eine Taschenlampe blendete ihn. Dann erschien ein Gesicht. Es gehörte zu einer erschrockenen alten Dame, die eine Mütze wie Sherlock Holmes und einen braunkarierten Umhang trug.
»Mr. Reed? Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Es war Olive Estergomy – Essie. Jack hob abwehrend die Hände und sagte zu ihr: »Schon in Ordnung. Schon gut. Sie haben mich überrascht, das ist alles.«
»Mr. Reed, Sie sind ja voller Blut.«
Er blickte an sich hinunter. Sein Mantel war übersät mit Flecken von Pater Bells Blut. Es war inzwischen getrocknet und hatte eine rostige Färbung angenommen, aber es war Blut, daran bestand kein Zweifel.
»Es stammt nicht von mir«, erklärte er, »sondern von Pater Bell. Er ist … nun, es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber er ist tot.«
»Tot« erschien nach den Qualen, die Pater Bell erlitten hatte, wie ein Euphemismus. Das Feuer, die Schmerzen, dann die Amputation seiner Arme.
Essie leuchtete mit der Taschenlampe das Haus an. »Tot?«, fragte sie.
»Es ist alles meine Schuld!«, klärte Jack sie auf. »Er hat mich gewarnt, dass es gefährlich sein würde, aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben.«
Essie zielte mit dem Lichtkegel wieder auf ihn. Sie schien tief in Gedanken versunken. »Mr. Reed, ich konnte nicht schlafen. Also habe ich bei Ihnen im Motel angerufen, aber man sagte mir, Sie seien nicht da. Deshalb bin ich hergekommen, um hier nach dem Rechten zu sehen.«
Jack antwortete: »Bitte begleiten Sie mich zurück zum Auto. Es ist etwas vorgefallen, etwas Schlimmes.«
»Etwas Schlimmes? Was meinen Sie damit?«
Jack erklärte: »Ich habe Pater Bell oben in Green Bay gefunden. Er war kein Priester mehr, doch nach wie vor sprachen ihn alle als Pater an. Er bestätigte meine Theorie, dass die Patienten all diese Jahre in der Wand gefangen waren. Quintus Miller, Lester Franks, Gordon Holman und der ganze Rest. Sie sind durch eine Art Magie dort festgehalten worden. Es ist nicht ganz einfach zu beschreiben. Er sprach von Erdmagie. Etwas, woran die Druiden glaubten.«
Essie Estergomy starrte ihn unter ihrer tropfenden Hutkrempe an.
»Sie haben ihn getötet«, fügte Jack hinzu. Er versuchte, ihr die genaueren Umstände begreiflich zu machen. Berichtete, wie Randys Gesicht in der Wand erschienen war, dann das von Gordon Holman. Dass Pater Bell gepackt, gequält und schließlich verstümmelt worden war. Doch in der kühlen Gewitternacht mitten in Wisconsin, begleitet von Blitzen, die zuckten, und Regen, der auf die Bäume fiel, kamen ihm seine eigenen Worte hohl und unglaubwürdig vor.
Ängstlich erkundigte sich Essie: »Haben Sie die Polizei verständigt?«
Jack sah zur Seite. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre«, antwortete er ausweichend.
»Mr. Reed! Ein Mann ist ermordet worden!«
»Ja«, bestätigte er. Doch wie konnte er ihr offenbaren, dass Tausende weiterer Menschen geopfert werden mussten – 800 unschuldige Leben für jeden einzelnen Patienten, der aus The Oaks geflohen war? Und wie konnte er ihr beichten, dass dieses ganze Massaker allein dazu diente, sie wieder in die wahre Welt zurückzuholen, die Welt aus Luft und Feuer? Gott allein wusste, was sie anstellten, wenn sie ihre Freiheit wiedererlangt hatten.
Also sagte Jack nur: »Ich weiß, dass ich – Na ja, ich weiß, dass ich mich nicht wie andere in meiner Situation verhalte. Aber lassen Sie uns bis morgen warten, ehe wir die Polizei verständigen. Ich muss nachdenken, verstehen Sie? Die Polizei könnte die Lage noch verkomplizieren. Ich muss in Ruhe überlegen, was zu tun ist.«
»Sie steckten wirklich in der Wand? In den Backsteinen?«, hakte Essie nach. Sie leuchtete mit der Taschenlampe auf die Seite des Gebäudes. Der Lichtkegel fiel auf eine der Skulpturen mit ihren geschlossenen Augen.
»Ich glaube, hier draußen sind wir besser aufgehoben«, erklärte Jack ihr. »Sie sind nicht nur gefährlich, sondern auch ausgesprochen wütend. Die lange Gefangenschaft hat sie rachsüchtig gemacht.«
Essie zögerte, aber nur eine Sekunde lang, dann nickte sie. »Mein Auto parkt direkt neben Ihrem.«
Jack hakte sich bei ihr unter und gemeinsam
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