Irrflug
Schnüffler neue Unterlagen an. Anfangs hatte ” noch darauf bestanden, dass dies schriftlich zu geschehen hatte. Das aber verzögerte die Prüfung lediglich und führte zu nichts. Nur wenn die Fragen diffizil waren, bat er nun um schriftliche Begründung, um vorsichtshalber seinen Finanzchef und den Steuerberater verständigen zu können.
Der Geschäftsmann knurrte etwas vor sich hin, durchschritt das Sekretariat und ging über den Flur zum Konferenzraum hinüber, das er ohne anzuklopfen betrat.
Erich Altmann, ein korrekt gekleideter Beamter mit schwarzem Schnurrbart und dünn gewordenem Haar, saß an dem sechseckigen Tisch. Auf ihm hatte er mehrere Aktenordner aneinander gereiht. Er erhob sich, als der Firmen-Chef auf ihn zueilte und ihm die Hand schüttelte. Steinke lächelte, wie er das immer tat, wenn er seinen Gesprächspartner von etwas überzeugen wollte. „Behalten Sie doch Platz”, sagte er im verbindlichen Ton. Altmann, das wurde Steinke wieder bewusst, war ebenfalls ein Erfolgstyp. Aber leider auf der Gegenseite. Das konnte jedem, der sich nicht an Recht und Gesetz hielt, gefährlich werden. Und dieser Finanzbeamte hatte in den vergangenen Monaten bewiesen, dass er etwas von seiner Arbeit verstand. Er mochte auch um die 50 sein und konnte demzufolge eine lange Berufserfahrung aufweisen. Nie hatte sich dieser Mann während seiner Tätigkeit bei ›Steinke-Network GmbH & Co. KG‹ bisher provozieren lassen. Er war korrekt und freundlich.
„Tut mir leid, dass ich Sie schon wieder belästigen muss”, sagte Altmann und lächelte ebenfalls, „aber mir sind da ein paar Ungereimtheiten aufgefallen.”
Der Angesprochene verengte die Augenbrauen und verschränkte die Arme. „Sicher nichts, was nicht zu klären wäre”, sagte er und strahlte dabei Gelassenheit aus.
„Na ja”, fuhr Altmann vorsichtig fort, „im Geschäftsleben ist es, soweit ich weiß, ziemlich unüblich, größere Beträge bar zu bezahlen. Sie aber haben in den vergangenen Jahren doch einige Male stattliche Summen abgehoben und laut Buchungsbelegen in diverse ausländische Beteiligungen gesteckt.”
Steinke zögerte. „Das ist kein Geheimnis”, sagte er betont.
„Diese Beteiligungen, wenn ich das richtig sehe”, fuhr der Finanzbeamte fort, „diese Beteiligungen betreffen allesamt Gesellschaften außerhalb der Europäischen Gemeinschaft.”
„Richtig”, bestätigte sein Gesprächspartner und lehnte sich zurück. Altmann besah sich die handschriftlichen Notizen, die er sich auf einem Schreibblock gemacht hatte: „Indien seh’ ich hier, Chile, Nigeria, Namibia und so weiter.”
„Alles Länder mit großem Potenzial für die Computerbranche”, erklärte Steinke, „man muss investieren, die Zeichen der Zeit erkennen – und notfalls auch bereit sein, Geld zu verlieren.”
„Genau das ist der Punkt, Sie scheinen viel Geld verloren zu haben.”
„Um mir des zu sage, hättet Se net monatelang meine Bücher wälze müsse, verehrter Herr Altmann”, erwiderte der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, in den schwäbischen Dialekt verfallend, „des hätt i Ihne gleich sage könne.”
Auf dem Fluggelände Hahnweide waren inzwischen die Rettungsfahrzeuge eingetroffen. Blaulichter zuckten im strahlenden Sonnenschein. Notarzt und Polizei hatten mit ihren Sirenen weithin für Aufsehen gesorgt. Die Fahrzeuge waren um das Tower-Gebäude zum Hallenvorplatz gerast. Dort, vor dem Gebäude des Baden-Württembergischen Luftfahrtverbandes, hatten sich mehrere Dutzend Schaulustige eingefunden. Sie blickten entsetzt auf die braune Decke, die auf dem Asphalt lag und mit der die Leiche einer Frau zugedeckt worden war. Ein Notarzt aus Kirchheim hatte als Todesursache ›Verbluten durch eine große Halswunde‹ diagnostiziert.
Polizeibeamte zogen unterdessen ein rot-weißes Sperrband weiträumig um den Vorplatz und drängten die Neugierigen zurück. Dies waren meist Flugschüler, die ab neun Uhr ihre Praxisstunden absolvieren sollten, aber auch ausgebildete Piloten, die einen Flieger gechartert hatten, oder Camper vom nahen Campingplatz.
Vorläufig jedenfalls durfte kein Flugzeug starten und auch in der Halle nichts verändert werden. Das hatte der ranghöchste uniformierte Polizeibeamte angeordnet, noch bevor die Kollegen der Kriminalpolizei verständigt worden waren.
Er nahm den Leiter der Motorflugschule, Horst Hauf, einen kreidebleichen Mittfünfziger im kurzärmeligen blauen Hemd, zur Seite. „Kennen Sie die Tote?”, fragte der
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