Irrflug
fest.
„Hallo”, sagte sie zaghaft, „hallo”, ein zweites Mal. Doch die junge Frau, die seitlich zusammengekauert auf dem Asphalt lag, reagierte nicht.
Diese Frau war eindeutig tot.
Angelika Druschkowsky richtete sich wieder auf, blickte in die dunkle Halle. Sie hatte plötzlich Angst, panische Angst. War da jemand? Hatte sich zwischen den Flugzeugen etwas bewegt? Sie blieb wie erstarrt stehen.
Was waren das für Geräusche? Ihre Gedanken spielten verrückt. Ruhig bleiben, redete sie sich ein, ruhig bleiben. Was sie gehört hatte, war zweifellos nur ein Automotor in der Ferne gewesen. Dazwischen zwitschernde Vögel, ein krähender Rabe.
Oder doch nicht. Wurde sie beobachtet? Plötzlich erkannte sie, dass die Metalltür, die sich links des Hallentors befand, halb geöffnet war, irgendwie verbogen. Der Rahmen wies im Bereich des Schlosses einen deutlichen Wulst auf. Hier hatte jemand mit Brachialgewalt die Tür aufgehebelt.
Die Frau schluckte und glaubte plötzlich, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Langsam, wie in Zeitlupe, ging sie die paar Schritte zu ihrem Golf zurück und ließ sich seitlich auf den Fahrersitz sinken, die Beine nach außen gestellt. Sie griff zu ihrer Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag, um das Handy herauszukramen. Sie holte tief Luft, als sie auf der Tastatur ›110‹ drückte. Der Notruf ging nach Esslingen, zur Polizeidirektion in der Kreisstadt.
Das Chefbüro war ungewöhnlich groß und strahlte die ganze Würde und Eleganz aus, mit der sich Frederik Steinke zu umgeben pflegte: ein Schreibtisch aus massiver Eiche, einige hoch gewachsene Grünpflanzen und ein mächtiger Schrank, in dessen Regalen unzählige Fachbücher standen. Viele Schritte vom Schreibtisch entfernt, auf der gegenüberliegenden Seite, war eine Sitzgruppe angeordnet. Ebenfalls Eiche massiv, jedoch mit feinstem Leder überzogen. An der Wand hing ein abstraktes Gemälde, das dem Raum den einzigen Farbtupfer bescherte.
Frederik Steinke, knapp über 50, jedoch überaus athletisch und sportlich, braungebrannt und auf den ersten Blick der Prototyp des erfolgreichen Geschäftsmannes, saß hinter seinem Schreibtisch und lauschte ins Telefon, das er mit der linken Hand hielt, während er mit der rechten in einem Aktenordner blätterte.
„Okay”, sagte er knapp, „dieser blöde Sesselfurzer geht mir langsam gewaltig auf den Wecker.”
Steinke unterstrich mit seinem Kugelschreiber einige Zahlenreihen, die er auf einem Blatt gefunden hatte. „Man muss sich mal vorstellen, der schnüffelt jetzt schon die zehnte Woche bei uns rum”, zeigte er sich empört. Er bemühte sich sichtlich, Hochdeutsch zu reden. „Verdammte Abzocker, nie im Leben wirklich ernsthaft gearbeitet und wissen nicht, was es heißt, einen Betrieb zu führen.”
Steinke strich sich jetzt mit der rechten Hand über sein Jackett aus hellem und sündhaft teurem Leder. Es fühlte sich gut an, dachte er, während er der Antwort seines Gesprächspartners lauschte.
„Wann fliegst du?”, fragte er schließlich, um sogleich zufrieden zu nicken und eine weitere Frage nachzuschieben: „Alles klar? Das Wetter scheint ja absolut spitze zu sein.”
Er stand auf und schaute durch die feinen Vorhänge in die parkähnliche Landschaft hinaus, die sein Verwaltungsgebäude umgab. Es war ein altes amerikanisches Militärgelände, aus dem nach der politischen Wende ein Gewerbegebiet entstanden ist – insbesondere für Betriebe der Computer-Branche. Steinke hatte die Chance ergriffen und sein damals bereits gut florierendes Unternehmen aus der drangvollen Enge eines Esslinger Industriegebiets teilweise hierher nach Göppingen verlagert.
„Okay, dann bist du am Spätnachmittag wieder hier”, stellte er fest und wünschte seinem Gesprächspartner noch einen guten Flug. Dann legte er auf und schlug den Aktenordner zu. In diesem Augenblick meldete sich die Stimme seiner Sekretärin über die Sprechanlage. Er drückte einen Knopf und sagte nur knapp: „Ja.”
„Herr Altmann wünscht Sie zu sprechen”, sagte die Frauenstimme.
Der Sesselfurzer. Schon wieder. Er brummte etwas Unverständliches, verbunden mit einem Schwäbischen Fluch, und ließ den Knopf der Sprechanlage wieder los. Tausendmal hatte er sich schon im Stillen gewünscht, diesen Altmann, diesen Beamten der Oberfinanzdirektion Stuttgart, am Kragen zu packen und an die frische Luft zu setzen. Die Betriebsprüfung dauerte jetzt fast ein Vierteljahr und alle paar Tage forderte der
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