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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Eigenschaften waren es gewesen, die Marie aufmerksam werden ließen und die Franziska wie ein Netz über andere zu werfen verstand. Sie suggerierten zusammen mit ihrer noch mädchenhaften, etwas wie verpuppt wirkenden Schönheit ein Idealbild, hinter dessen Fassade sich eine erwachsen werdende Frau verbarg, die mit dem haderte, dem sie sich auf den ersten Blick bejahend zuwandte: dem Leben. Marie hatte schlagartig verstanden, warum Franziska letztlich immer wieder allein blieb und Menschen nicht an sich binden konnte: Sie erdrückte die anderen, und die anfänglich fesselnde Fröhlichkeit und Offenheit wich bald den Ketten, die sie den anderen anlegte, um sie an der Flucht zu hindern, wenn sie die Bürden erkannten, die ihnen Franziska auferlegte.
     
    Sie hatten über 20 Zuschriften auf die Anzeige erhalten, manche unverhohlen sexistisch, einige ungelenk schüchtern, andere langweilig und altbacken. Franziska warf die Briefe nach einmaligem Lesen enttäuscht auf den Boden.
    »Mr. Chiffre ist nicht dabei«, beschied sie.
    Marie sammelte die Briefe auf und studierte sie ein zweites Mal.
    »Der hier macht einen netten Eindruck«. Sie reichte Franziska die Antwort eines René.
    »Das erste Lesen reicht«, erwiderte Franziska schroff. »Ich brauche nicht irgendjemanden. Ein Mann muss mich auf Anhieb verzaubern – und sei es nur mit seinen ersten Zeilen.«
    »Du erwartest ziemlich viel«, stellte Marie lakonisch fest.
    »Und warum springst du auf keinen dieser Supermänner an?«, fragte Franziska spitz. »Es war doch unsere gemeinsame Anzeige.« Sie blinzelte Marie fordernd an und erhielt keine Antwort.
    »Na, siehst du … Ich bleibe dir also noch erhalten.« Franziska grinste spöttisch.
    Drei Monate später feierten sie mit ihrer Jahrgangsstufe das bestandene Abitur. Die Absolventen umarmten einander und schworen sich ewige Treue. Das Ende der Schulzeit sollte und durfte kein Abschied sein. Ein Fotograf hielt den Augenblick fest, in dem die Freude über das Geschaffte zur trügerischen Euphorie verleitete, dass man die wesentlichste Prüfung im Leben überhaupt erfolgreich hinter sich gelassen hatte und die Leichtigkeit des heutigen Tages in eine rosige Zukunft tragen würde. Als Franziska nur mit Marie auf einem Foto abgelichtet werden wollte, griff sie Marie fest um die Taille und zog sie eng an sich heran.
    »Auf ewig!«, rief sie und formte die Finger der freien rechten Hand zum Victory-Zeichen, während sie sich mit flüchtigem Seitenblick davon überzeugte, dass Marie ihren provozierenden Unterton wahrgenommen haben musste.
    Marie lächelte verkrampft, als der Blitz auslöste. Danach ließ Franziska Marie abrupt los, stieß sie fast von sich und ergriff ein letztes Mal ihre Hand.
    »Ich halte dich nicht fest. Du entfernst dich von mir. Sag mir bitte nicht, dass ich mich täusche! Ich weiß es.«
    Franziska sah Marie eigentümlich sanft und zugleich vorwurfsvoll an.
    Marie schluckte, war verstört, fühlte sich erlöst und zugleich schuldig. Sie war zu überrascht, um etwas erwidern zu können. In diesem Moment ließ Franziska Maries Hand los, taumelte ein paar Schritte zurück, als befinde sie sich im Fall und fing sich. Dann tauchte sie in die beginnende Feier ein, ließ sich treiben und tanzte, als die Musik unter den blitzenden Lichtern des Stroboskops zu spielen begann, bis sie spät abends erschöpft und ohne weiteres Wort die Feier verließ. Erst jetzt fiel Marie auf, wie isoliert Franziska stets gewesen war.
    Marie hatte ihr nach der Feier einen langen Brief geschrieben. Sie versuchte, ihr Denken und Handeln zu erklären, und entschuldigte sich letztlich dafür, Franziska nicht die Freundin gewesen zu sein, die diese sich erhofft hatte. Sie korrigierte den Brief mehrmals, bevor sie ihn mit zittriger Hand beim Hauptpostamt einwarf. Marie spürte, dass Franziska sie noch gefangen hielt und dass nur Franziska sie befreien konnte. Doch Marie erhielt auf ihren Brief nie eine Antwort.
     
     
     

2
    Fast genau neun Jahre später sahen sich Marie und Franziska an einem heißen Juniabend bei ihrem ersten Klassentreffen wieder. Marie Schwarz hatte zwischenzeitlich ihr Germanistikstudium abgeschlossen, ihr Referendariat absolviert und nach einem Jahr Arbeitslosigkeit eine Anstellung als Lehrerin an einem Gymnasium im Dortmunder Westen gefunden. Franziska Bellgardt hatte sich zu dem Treffen nicht angemeldet. Dass ihr Name auf der Anmeldeliste fehlte, fiel erst durch einen Abgleich mit der Abiturientenliste auf. Sie

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