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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Chiffre gesucht – und den Tod gefunden. Das ist mehr als tragisch.«
    Er verabschiedete sich. Marie und Stephan begleiteten ihn nach unten.
    »Wir hätten unseren Fall schneller lösen können«, meinte Ylberi zu Marie. »Sie hätten mir nur den Brief aushändigen müssen, den Sie noch am 17. Oktober erhalten haben.«
    Marie nickte. »Ich dachte, dieser Brief stammte von irgendeinem Nachzügler, der mit der Sache nichts zu tun haben kann. Wer konnte ahnen, dass sich Hilbig dahinter verbarg?«
    »Wir haben uns beide geirrt. Aber dieser Irrtum passt zu der ganzen Geschichte«, meinte Ylberi.
    Als er das Kanzleigebäude verließ, stürmte Löffke hinein. Er kam von einem Gerichtstermin zurück.
    »Alles gewonnen, Kollege Knobel!«, schnaufte er und stampfte in geschäftiger Eile den Flur entlang.
    »Was macht die Sache, über die wir gestern gesprochen haben?«, rief Stephan vergnügt hinterher. »Sie wirkten so durcheinander!«
    »Vergessen Sie es, Herr Knobel! Sie sollen es vergessen, ich sagte es ja bereits. Ich werde damit fertig. Es ist die Last meines Berufs. Ob Pastor oder Anwalt, manchmal kommen die Leute zur Beichte. Von mir erfahren Sie nichts!«
    Dann verschwand er in seinem Büro.
     
     

26
    Marie legte eine Rose auf Franziskas Grab. Es war ein diesiger, feuchter Freitag Ende November, an dem die Friedhöfe häufiger als sonst besucht wurden. Die Bäume trugen nur noch wenige gelbe Blätter. Sie hatten das meiste Laub abgeworfen, das sich auf Wege und Gräber verteilte. In dieser Jahreszeit wurde offenbar, welche Gräber ungepflegt und unbesucht blieben. Franziskas Grab lag auf einem neu angelegten Feld im alten Teil des Friedhofes in unmittelbarer Nähe des Hauptweges, den eine Allee knorriger Eichen säumte. Auf dem frisch angelegten Grab lagen noch einige verwitternde Kränze und ein frischer Blumenstrauß. Stephan sah genauer hin und entdeckte unter dem Strauß eine Plastikhülle, in der sich ein Blatt Papier befand. Er nahm die Hülle, wischte mit der Hand Regentropfen und Erdkrumen ab und las die blassen Zeilen auf dem Papier:
    Gedanken, die sich um Dich drehen, Ideen, wie Du gewesen sein könntest, Träume, wie ich Dich beschenke, wir gemeinsam durch das Leben gehen, tief verbunden und so wolkig leicht – ohne Sinn, ich hab Dich nie erreicht.
    Stephan gab Marie die Plastikhülle.
    »Es stammt von Hilbig«, meinte sie tonlos. »Ich erkenne die Handschrift wieder.« Ihr stiegen Tränen in die Augen. »Ich hätte mich damals darum kümmern müssen, dass sie diesen Brief erhält. Aber ich habe es nicht getan, sondern ihn nur in die Schublade gelegt. Ich habe bei Franziska so viel falsch gemacht.«
    Stephan nahm ihr das Gedicht aus der Hand und legte es wieder behutsam unter den Blumenstrauß.
    »Komm!«, sagte er sanft und drückte sie an sich. »Franziska hat vielleicht ein Leben lang die falschen Menschen getroffen – und sie hat die falschen Menschen gewählt. Vielleicht wäre Hilbig ihr Mr. Chiffre gewesen. Manchmal hilft nur das Glück. Keiner trägt Verantwortung für das, was zufällig gelingt oder misslingt.«
    Sie verließen schweigend den Friedhof. Draußen herrschte Feierabendverkehr. In den Auslagen der Geschäfte häuften sich die Weihnachtsartikel. Kinder standen mit leuchtenden Augen vor den Schaufenstern. Der Friedhof blieb in unwirklichem milchigen Dunst zurück. Stephan und Marie umarmten sich fest. Sie wussten um ihr Glück.
    Am anderen Ende der Stadt spielten Schulkinder im schwindenden Tageslicht auf einer Müllhalde. Sie turnten auf dem hölzernen Gestell eines weggeworfenen Bettes. Eines der Kinder fand an der Unterseite des Lattenrostes, mit braunem Klebeband umwickelt, das sich nicht von der Farbe des Holzes abhob, ein zwischen zwei Latten eingezwängtes Bündel Briefe. Es mochten über 50 sein, adressiert an 0829, und ein Brief vom 19. Oktober, adressiert an eine Franziska Bellgardt. Sie lasen einige der Briefe und kicherten über die Zeilen, die sie nicht verstanden. Dann brach die Dunkelheit herein. Sie warfen die Briefe fort, die aus einer ihnen noch fremden Welt stammten.
     
     
    E N D E
     

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