Irrliebe
zu wenig im Familien- und Erbrecht aus«, stellte er fest. Dann wandte er sich Marie zu: »Zweitens: Warum hat Pierre Brossard Ihnen all dies erzählt? Es gab keinen vernünftigen Grund, sich und Antje Swoboda preiszugeben.«
»Die Antwort ist fast zu simpel«, antwortete Stephan für Marie, »und sie fängt damit an, dass ich selbst eher zufällig den Stein ins Rollen gebracht habe. Es begann damit, dass ich bei meinem gestrigen Besuch im Architekturbüro gegenüber Alf Jungmann und Antje Swoboda im Detail erfragte, wie Dominique und Pierre den Tag verbrachten, an dem die Männer der französischen Eisenbahn in Dominiques Büro zu Gast waren. Nach den Informationen, die ich von Jungmann erhielt, war mir klar, dass die bisherige Theorie, wonach Dominique das Tatgeschehen lenkte, nicht stimmen konnte. Sie konnte zumindest den Brief vom 15. Oktober nicht bis zum Ende des Tages in Bochum eingeworfen haben. Damit drehte sich die Geschichte, was ich auch deutlich sagte, nicht ahnend, dass ich in Antje Swoboda nun die Angst auslöste, dass ich durch meine Entdeckung der richtigen Lösung des Falles auf der Spur war. Frau Swoboda wusste, dass ich früher Dominique vertreten und danach Löffke das Mandat von mir übernommen hatte. Sie hat – ganz sicher in Absprache mit Pierre – die Flucht nach vorn angetreten und wollte ihr Wissen und ihr gemeinsames Geständnis mit Pierre mir als Anwalt anvertrauen. Dies hätte mich der Verschwiegenheit unterworfen und verhindert, dass ich meine Rückschlüsse Ihnen, Herr Ylberi, mitteile. Als sie mich nicht antraf, ist sie zu Löffke gegangen und hat ihm alles erzählt. Das war es, was Löffke so aus der Bahn warf, denn es ist natürlich mehr als außergewöhnlich, wenn einem als Anwalt das Geständnis zweier Morde anvertraut wird. Frau Swoboda unterlag nur einem Irrtum: Sie meinte, dass Löffke und ich Partner ein- und derselben Kanzlei sind, und dass sie, indem sie sich Löffke anvertraute, automatisch auch mich in die Schweigepflicht einband. Sie hat nicht verstanden, dass meine Kanzlei unabhängig von Löffkes Kanzlei ist.«
»Ich habe ihr, glaube ich, einmal gesagt, dass sie mit Löffke in einem Haus arbeiten«, erinnerte sich Ylberi, »aber das war ja nicht falsch.«
»Das war nicht falsch«, bestätigte Stephan, »aber es ist eben nur eine Bürogemeinschaft. Folglich war ich nicht gehindert, weiter zu ermitteln, und mir den Irrtum von Frau Swoboda zunutze zu machen. Und dass Marie dann ins Krankenhaus gegangen ist und Pierre Brossard, der natürlich wusste, dass sich Antje Löffke anvertraut hatte, erklärte, dass sie aus der Kanzlei komme und durch ihr Auftreten suggerierte, Anwältin der Kanzlei zu sein, war ein Trick, auf den Marie und ich besonders stolz sind. Denn es hat niemand die Schweigepflicht verletzt: Löffke hat sie gewahrt, ich war von der Schweigepflicht nicht erfasst, weil ich nicht mit Löffke in einer Kanzlei arbeite und Marie hat ohnehin keine, weil sie keine Anwältin ist. Es wurde also nur ein Irrtum ausgenutzt, dem Antje Swoboda und Pierre Brossard selbst erlegen sind.«
»Es wird auf Sie als Zeugin ankommen, Frau Schwarz«, stellte Staatsanwalt Ylberi fest. »Ich gehe nicht davon aus, dass Pierre Brossard und Antje Swoboda ihre Geständnisse vor mir oder vor Gericht wiederholen werden. Und ich weiß jetzt schon, dass die Verteidiger, die die beiden vertreten werden, nach Möglichkeiten suchen werden, Ihre Aussage, liebe Frau Schwarz, einem Beweisverwertungsverbot zu unterziehen.«
»Aber Sie müssen die Geschichte jetzt nur noch nachvollziehen, Herr Ylberi«, wiegelte Stephan ab. »Sie wissen, wo Sie Spuren suchen müssen und finden können. Vielleicht sollte man mit dem Auto von Pierre Brossard anfangen, das sich in der Garage von Antje Swoboda befindet. Es wird Spurenträger sein. Franziska hat in diesem Auto gesessen. Nutzen Sie den Zeitvorteil! Swoboda und Brossard wissen nichts davon, dass Sie jetzt im Bilde sind. Sie hoffen auf die Einhaltung der vermeintlichen Schweigepflicht. Das ist Ihre Chance, Herr Ylberi!«
Der Staatsanwalt erhob sich. Er schüttelte verwundert den Kopf.
»Irgendwie hatten wir beide recht, Herr Knobel: Es ging um eine Maskerade!«
»Arme Franziska«, schloss Marie.
»Wir kennen doch immer nur den einen Teil des Menschen«, meinte Ylberi. »Unsere Gesellschaft leuchtet nach außen, und hinter den Fassaden spielen sich traurige Geschichten ab. Alle suchen ihr Glück, und wir tun es genauso. Franziska hat ihr Glück über
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