Irrwege
achten?«
»Gewiß, mein Fürst.« Und da ihr nicht entging,
daß Xar sich ungeduldig umschaute, fügte Marit hinzu: »Samahs Zelle ist hier
vorn, Hoheit. Der andere Gefangene befindet sich am anderen Ende des Blocks.
Ich hielt es für klüger, sie nicht nebeneinander unterzubringen, auch wenn
dieser andere harmlos zu sein scheint.«
»Ja, ich vergaß, daß es zwei sind. Was gibt es
über diesen zweiten Mann zu wissen? Ist er ein Leibwächter? Samahs Sohn?«
»Gewiß nicht, mein Fürst.« Marit schüttelte
lächelnd den Kopf. »Ich bin nicht einmal sicher, ob er ein Sartan ist. Falls
doch, hat er den Verstand verloren. Merkwürdig«, sie runzelte nachdenklich die
Stirn, »aber wenn er ein Patryn wäre, würde ich sagen, er leidet am Labyrinthkoller.«
»Verstellung höchstwahrscheinlich. Wäre der Mann
verrückt, was ich bezweifle, würden die Sartan ihm niemals erlauben, sich in
der Öffentlichkeit zu zeigen. Es könnte ihrem Status als Halbgötter schaden.
Wie nennt er sich?«
»Er hat einen seltsamen Namen. Zifnab.«
»Zifnab!« Xar überlegte. »Das habe ich schon
einmal gehört… Gram sagte… Ja, im Zusammenhang mit…« Er verstummte.
»Mein Fürst?«
»Nichts Wichtiges, Tochter. Ich habe laut
gedacht. Oh, wie es scheint, nähern wir uns unserem Bestimmungsort.«
»Hier ist die Zelle von Samah, mein Fürst.« Marit
streifte den Mann darin mit einem kühlen, leidenschaftslosen Blick. »Ich werde
gehen, um den anderen Gefangenen zu bewachen.«
»Ich glaube nicht, daß das nötig ist«, bemerkte
Xar freundlich. »Warum nicht unserem züngelnden Freund Gesellschaft leisten?«
Er deutete mit einer Kopfbewegung zum Eingang, wo Sang-drax stand und sie beobachtete.
»Ich möchte in meiner Unterhaltung mit Samah nicht gestört werden.«
»Ich verstehe, mein Fürst.« Mit einer leichten
Verneigung wandte sie sich ab und ging zurück.
Xar wartete, bis sie am Eingang angekommen war
und die Drachenschlange ansprach. Sobald das rote Auge ihn losließ und sich auf
Marit heftete, näherte der Fürst des Nexus sich der Gefängniszelle und schaute
hinein.
Samah, Archont der Sartan und Haupt des Rats der
Sieben, war – nach Jahren gerechnet – erheblich älter als Xar. Doch bedingt
durch seinen magischen Schlaf, der eigentlich nur zehn Jahre dauern sollte,
dann jedoch erst nach Jahrhunderten beendet wurde (durch Alfred), war Samah
ein Mann auf der Höhe seiner Kraft.
Hochgewachsen, stark, hatte er einst harte, wie
gemeißelte Züge gehabt und die herrische Ausstrahlung eines Mannes, der
gewohnt ist, daß seinen Befehlen Folge geleistet wird. Jetzt aber war seine
Haut grau und schlaff, das Gesicht, das geprägt sein sollte von Weisheit und
Erfahrung, von tiefen Furchen durchzogen, hager und eingefallen. Samah saß
zusammengesunken auf der kalten Steinbank – von Verzweiflung übermannt. Seine
Gewänder und sein Haar trieften vor Nässe.
Xar legte die Hände um die Gitterstäbe, er
lächelte.
»Ja«, sagte er leise, »du weißt, welches
Schicksal dir bevorsteht, nicht wahr, Samah? Es gibt fast nichts, das schlimmer
ist als die Angst, die Erwartung. Selbst wenn der Tod kommt – ein sehr
langsamer, qualvoller Tod, das verspreche ich dir –, wird er nicht so schrecklich
sein wie die Angst.«
Xar umklammerte die Stäbe fester. Die blauen
Tätowierungen auf den Rücken seiner knorrigen Hände sahen aus wie
Schriftzeichen auf straff gespanntem Pergament, die übergroßen Knöchel waren
so weiß wie blanke Knochen. Er vermochte kaum zu atmen, seine Stimme
versagte. Daß er beim Anblick des Feindes dermaßen von seinen Gefühlen
überwältigt werden könnte, hatte er nicht für möglich gehalten, doch plötzlich
standen ihm die vielen Jahre des Kämpfens, des Leidens und der Angst wieder vor
Augen.
»Ich wünschte« – Xars Stimme klang heiser – »ich
wünschte, ich hätte die Macht, dich zu einem langen, langen Leben zu verdammen,
Samah! Zu einem Leben in Furcht, wie mein Volk es erduldet hat. Jahrhunderte
solltest du so leben müssen!«
Die Eisenstäbe lösten sich auf unter dem Druck
seiner Hände, Xar bemerkte es nicht. Samah hielt den Kopf gesenkt, seine
Haltung blieb unverändert, nur die Hände ballten sich zu Fäusten.
Xar trat in die Zelle. »Du kannst der Angst
nicht entfliehen, nicht einmal im Schlaf. Sie begleitet dich bis in deine
Träume. Du läufst und läufst und läufst, bis du glaubst, dein Herz zerspringt,
und dann wachst du auf und
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