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Isabelle

Isabelle

Titel: Isabelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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wieder ihrer Hüfte Ruhe gönnen konnte, ohne dass es auffiel. Die Hüfte war ihr einziges Problem, ansonsten war sie so gesund wie ein Fisch im Wasser.
    »Er möchte noch einen Kaffee«, erklärte Letty. »Ich bin hinten.«
    Sie verschwand mit dem schmutzigen Geschirr, und Isabelle stand von ihrem Hocker auf, um dem Buchhalter seinen vierten Kaffee zu bringen. Der Mann hörte sie nicht kommen und machte vor Schreck eine plötzliche Bewegung, als sie an seinem Tisch erschien, sodass einer der Klemmordner und einige lose Blätter auf den Boden fielen. Er murmelte eine Entschuldigung und bückte sich, um seine Sachen zusammenzusuchen. Als er sich wieder aufrichtete, sah sie den Schweiß auf seinem Gesicht und den gehetzten Blick in seinen Augen. Er tat ihr Leid. Sie stellte ihm den Kaffee hin und lächelte aufmunternd, als könne ihm das bei seinen finanziellen Problemen helfen.
    Isabelle kümmerte sich gern um andere Menschen. Sie wäre am liebsten Krankenschwester geworden, doch die Schulschwester am Stadsen Academisch Ziekenhuis hatte Isabelle entschieden davon abgeraten, nachdem sie ihre medizinischen Untersuchungsberichte studiert hatte. »In der Krankenpflege heißt es den ganzen Tag gehen und stehen, heben und schleppen; man ist immer auf den Beinen«, hatte sie zu bedenken gegeben. »Das ist wirklich kein geeigneter Beruf für dich.«
    Für die Sache mit der Hüfte konnte man niemandem die Schuld geben. Gerard hatte sie einmal dazu zu überreden versucht, sich an einen Rechtsanwalt zu wenden. Heutzutage konnte man ja Ärzte und Krankenhäuser für den kleinsten Fehler verklagen und ein Vermögen an Schadenersatz fordern. Doch Isabelle wollte nichts davon hören. Diese Geschichte war vor sechsundzwanzig Jahren bei ihrer Geburt passiert, und niemand hätte sie verhindern können. Der alte Hausarzt und die Geburtshelferin hätten sie vielleicht gründlicher untersucht und dabei ihre ausgerenkte Hüfte bemerkt, wenn sie nicht völlig von der Aufregung in Anspruch genommen gewesen wären, die entstanden sein musste, als ihre Mutter zu verbluten begann.
    Sie konnte es auch ihrer Mutter nicht verübeln, dass sie ihr Kind lieber bei Tante Maran bekommen wollte anstatt in einem Krankenhaus oder einem Geburtshaus, die natürlich besser ausgerüstet waren. Dort hätte man wahrscheinlich sofort festgestellt, was los war, und vielleicht wäre ihre Mutter jetzt noch am Leben. Sie selber würde jedoch auch lieber zu Hause gebären als in einem Krankenhaus, sofern sie jemals Kinder bekommen sollte.
    Erst Jahre später, als ihre Hüfte schon längst operiert worden war und sie sie nur noch auf dem Spielplatz oder beim Turnunterricht ein wenig störte, erfuhr sie von Tante Maran, was genau geschehen war. Der Hausarzt hatte zwar rechtzeitig festgestellt, dass Isabelle falsch im Bauch ihrer Mutter lag, in einer Schulterlage, aber der Krankenwagen kam viel zu spät, weil er durch einen Verkehrsunfall aufgehalten worden war. Also versuchte der Arzt erst von außen und danach von innen, Isabelle zu drehen, wodurch sie in die Steißlage geriet und schließlich nur ihr linkes Beinchen hervorschaute.
    Danach ging alles schief. Der Arzt und die Krankenschwester verloren die Nerven, weil sich die Geburt so lange hinzog und Isabelles Gehirn drohte, durch Sauerstoffmangel Schaden zu erleiden. Als sie endlich heraus war, transportierte man ihre Mutter in aller Eile in den Krankenwagen, der inzwischen eingetroffen war. Isabelle ließ man in der Obhut der Geburtshelferin und Tante Marans zurück, denen ihr Hüftschaden nicht auffiel, und ihre Mutter starb im Krankenwagen, bevor dieser das Krankenhaus erreichte.
    Manchmal fühlte Isabelle sich schuldig, weil ihre Mutter sterben musste und sie mit ihrer Hüfte so glimpflich davongekommen war, von der man eigentlich kaum etwas sah und die ihr höchstens ein bisschen Beschwerden bereitete, wenn sie länger als eine Stunde auf den Beinen war.
    Eigentlich hatte sie ihr Leben lang mit allem Glück gehabt. Es gab nichts, womit sie hätte unzufrieden sein müssen. Draußen schien die Sonne, sie hörte ihre Lieblingsmusik, und im großen Restaurant war es ruhig. Der Buchhalter an der »Straßenseite« und der Mann auf der Seite mit dem Weidenblick waren die einzigen Gäste.
    Isabelle erschrak, als sie von ihrem Barhocker hinter der Kasse aus den Mann totenstill dasitzen sah, den Rücken ihr zugewandt und den Kopf merkwürdig zur Seite abgeknickt, sodass er am zusammengerafften Gardinenstoff neben dem

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