Isabelle
und weinrote Westen. Max bestellte einen Cognac; den konnte er jetzt gebrau chen. Letty entschied sich für Weißwein und bestellte eine Wurst- und Käseplatte dazu. Er lauschte amüsiert ihrer Geschichte über Judith, die wochenlang mit immer dickeren Kissen unter ihren Kleidern herumgelaufen war, um für alle Welt wie eine echte Mutter auszusehen.
»Du brauchst nicht zurückzufahren«, sagte sie, als der Cognac kam. »Es gibt hier einen schönen Gästetrakt, und alles wird automatisch auf die Rechnung von Judith Co lijn gesetzt. Da du ja für sie arbeitest, ist das schon okay.«
»Wie lange wollt ihr noch hier bleiben?«
»Bestimmt noch die ganze Woche. Es war nicht leicht für Isabelle, und dann diese Überraschung … das hat ihr schon einen harten Schlag versetzt.«
»Ich nehme an, dass der Junge hellhäutig ist?«
Letty kicherte. »Kannst du dir vorstellen, dass Judith Colijn einen schwarzen Sohn akzeptieren würde?«
Er erwiderte ihr Lächeln.
»Sie hatten abgemacht, dass das Erstgeborene Judith gehören sollte«, erklärte Letty. »Zwischen den beiden Geburten lag mehr als eine Stunde. Das Erste war ein Junge, Isabelle hat ihn nicht gesehen, Judith war schon mit ihm weg, bevor das Zweite kam.« Sie hob eine Hand. »Das war so abgemacht. Isabelle hatte keine Probleme damit. Sie wollte es sogar selbst so. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich in den letzten Wochen eingeredet hat, dass sie nur ein Kind trug, und zwar ihr Kind.«
Sie sah an seinem Gesicht, dass er Bedenken hatte. »Nein, Isabelle ist nicht verrückt, wenn du das vielleicht meinen solltest. Sie weiß genau, was sie will. Sie rückt alle Dinge um sich herum an ihren rechten Platz, sodass sie dazwischen ihren Weg finden und ein normales Leben führen kann. Natürlich denkt sie auch an die Folgen für später, zum Beispiel daran, dass ihre Kinder sich vielleicht eines Tages sehen möchten, oder daran, was sie ihrer Tochter einmal erzählen soll. Aber sie kann diese Dinge verschieben, auf später, verstehst du?«
»Ich hoffe, dass ihr das gelingt«, sagte Max.
Letty blickte ihn eindringlich an. »Sie weiß, was passiert ist. Sie weiß, dass Frauen Kinder von verschiedenen Vätern bekommen können. Ich habe mir das hier von einem Arzt erklären lassen müssen, ich habe immer gedacht, das ginge nur bei Hunden und so. Isabelle weiß, dass es geschehen ist, während sie bewusstlos war, aber sie hat sich entschieden, die Tatsache zu ignorieren, um sie einfach zu vergessen. Wie sollte sie sonst mit ihrer Tochter umgehen können?« Letty schwieg für einen Moment. »Ich bin nicht ganz damit einverstanden«, sagte sie dann. »Aber alles andere hat keinen Sinn und würde nur Unglück bringen. Schau dir doch nur mal das schwarze Schätzchen an. Da ist doch gar kein Platz für Unglück.«
Frauen, dachte Max. Männer vergeuden ihre Zeit mit Rachegefühlen und Frustrationen und verderben alles, indem sie solche Fragen stellten wie: Was wirst du dem Kind erzählen, wenn es achtzehn ist? Frauen waren da praktischer und weiser. Sie stellten weniger Fragen und beschützten ihr Nest. Jedenfalls waren Frauen generell weiser als er.
Max dachte an das, was Kleiweg ihm über den Tatort an der Linge erzählt hatte, und dass die Position der Körper im Verhältnis zur Flugbahn der Kugel nicht gestimmt hatte. Dass es so ausgesehen hatte, als hätte der Mörder den Mann beiseite gerollt und die Frau auf dem Bett ein Stück nach unten gezogen, als habe er im Schein der Taschenlampe kontrollieren wollen, ob sie wirklich bewusstlos war und keine gefährliche Zeugin, die aus dem Weg geräumt werden musste. Vielleicht hatte er das getan, aber dann hatte ihn wohl das, was da so wehrlos vor ihm lag, auch erregt. Es war niemand in der Nähe, der Mörder ging keinerlei Risiko ein, er konnte tun, was immer er wollte.
Max schwieg. Es hatte keinen Sinn, über Dinge zu reden, die jeder sich denken konnte, weil das Resultat klar vor Augen lag. Es war schade, dass er Isabelle mit dem Foto hatte konfrontieren müssen, wodurch der abstrakte Mörder ihres Geliebten und der Vater ihres Kindes nun auch zu einem Mann aus Fleisch und Blut geworden war, der einen Namen trug: Noël Bonvenu. Max hatte ihre Augen gesehen, als sie ihre Tochter anschaute, und er dachte, dass Isabelle wahrscheinlich genügend innere Kraft besaß, um das ganze Drama von sich abperlen und ihr Leben und das ihrer Tochter nicht davon vergiften zu lassen.
Letty lächelte schelmisch. »Und, zu welchem Schluss bist
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