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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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verschickt werden sollen. Weil meiner Klassenliste gestern doch noch ein Kind hinzugefügt wurde, mache ich mich auf den Weg ins Sekretariat, um mir die aktuelle Liste zu besorgen.
    Doch als ich den Kopf durch die Tür ins Büro hereinstrecke und Orkan entdecke, der mit ausdrucksloser Miene am Tisch sitzt, schwant mir Übles. Auch der Gesichtsausdruck von Frau Juhnke sieht nicht gerade vielversprechend aus, und so wird mir schnell klar, dass wir uns wohl zu früh gefreut haben.
    »Ich war heute Morgen bei der Senatsverwaltung«, beginnt Frau Juhnke paralysiert und berichtet dann von einer Entscheidung, die erst gestern getroffen wurde und nach der kein einziger Vertrag mit Quereinsteigern verlängert werden darf. Sie muss sich zusammenreißen, ihre Stimme zittert.
    »Ich bringe es kaum über die Lippen«, stammelt sie und schaut uns dann endlich an. »Übermorgen wird definitiv Ihr letzter Tag an dieser Schule sein.«
    Auf Orkans Stirn bildet sich eine steile Falte, doch ansonsten bleibt er reglos sitzen. Ich schließe die Augen und habe das Gefühl, in ein bodenloses, kilometertiefes Loch zu fallen. All die Arbeit, all die Hoffnung und all die Freude – alles umsonst.
    Doch dann, nach einem Augenblick tiefster Enttäuschung und Verzweiflung, regt sich plötzlich etwas in mir, das ich erst später verstehen werde: Ich fühle mich auf einen Schlag erleichtert.
    Ein Tritt in den Hintern, das weiß ich jetzt, tut zwar im ersten Moment weh, aber manchmal ist er eben nötig. Mit sofortiger Wirkung stellt sich die Gewissheit ein, dass meine Karriere als Hilfslehrer nun endgültig vorbei ist. Als Frau Juhnke vermutet, die Senatsverwaltung könne sich unser Gehalt über die Sommerferien wieder sparen wollen, falle ich ihr ins Wort.
    »Und selbst, wenn es nicht so ist«, sage ich entschieden, »ich bin raus! Das war’s. Nie wieder Schule.«
    Während Frau Juhnke unbeirrt weiterredet, spüre ich, wie gut es mir tut, diese Sätze auszusprechen. Die ständige Unsicherheit, die mich seit mehr als zwei Jahren begleitet, die befristeten Verträge und keine Aussicht auf eine endgültige Verlängerung, das Auf und Ab meiner Gefühle für diesen vollkommen verrückten Job, die Konfrontation mit den verstörenden Sorgen der Kids, die verfahrene politische Situation, in der sich unser gesamtes Schulsystem befindet – das alles ist jetzt nicht mehr mein Problem!
    Orkan bleibt stumm, aber ich spüre seine Enttäuschung. Als Tom das Büro betritt, reiße ich auch die letzten Brücken zu diesem Job ein, indem ich Frau Juhnke erkläre, dass die Senatsverwaltung sich jedes weitere Jobangebot an den Hut stecken könne. Ich erinnere sie daran, wie Orkan und ich uns in den letzten Monaten für das Wohlergehen der Schüler eingesetzt haben, und erhalte keine Antwort auf die Frage, ob diese schallende Ohrfeige der einzige Dank dafür sei. Nachdem ich auch meine Meinung über die Einstellung einiger Kollegen, über die dreckigen Toiletten, gewalttätige Schüler und alles andere losgeworden bin, das mich in den letzten zwei Jahren teilweise an den Rand der Verzweiflung getrieben hat, lehne ich mich zurück und überlege.
    »Ehrlich gesagt«, fahre ich nach einem Moment der Stille fort, »hab ich genau diesen Tritt gebraucht.«
    Als Orkan und Frau Juhnke den Plan schmieden, einen Brandbrief an den Bürgermeister aufzusetzen, zerreiße ich kopfschüttelnd die Schreiben an die Schüler und lasse sie auf meinem Weg nach draußen in den Papierkorb fallen. Nun habe ich endgültig den Elan verloren, weiter an diesem todkranken Patienten Schule herumzudoktern. Ich verlasse den OP mit dem Gefühl, das Problem nun wieder anderen Ärzten zu überlassen.
    Sarah muss informiert werden. Sofort. Noch im Flur greife ich zum Telefon und rufe sie an. Nach kurzer Zeit geht sie ran und erkennt schon an meiner Stimme, dass etwas nicht stimmt. Während ich die Story erzähle, kann ich förmlich hören, wie in ihr die Wut hochkocht. Ich stelle mir vor, wie sie mit Klara auf dem Arm an der schreienden Sekretärin unserer Kultusministerkonferenz vorbeirennt, die Eichentüren zum Sitzungssaal aufstößt und den feinen Herren und Damen so lange ungebremst ihre Meinung geigt, bis sie schreiend von Sicherheitskräften abtransportiert wird.
    Doch Sarah beruhigt sich schnell wieder und meint ebenfalls, dass ich diesen Schubs offensichtlich gebraucht hätte.
    Nach dem Gespräch eile ich in meine Klasse. Auch die Kids merken mir sofort an, dass etwas nicht stimmt. Ohne weitere

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