Isch geh Schulhof: Erfahrung
klärt mich Sarah auf. Im Gegensatz zu dem faden Wiederkauen theoretisch erworbenen Wissens soll den Kids hier draußen die Möglichkeit geboten werden, ausnahmsweise mal etwas über die echte Welt zu lernen. In unserem heutigen Schulsystem, das den Kindern den Spaß am Lernen in der Regel erfolgreich verdirbt, erscheint mir eine solche Gartenarbeitsschule als echter Lichtblick. Hier können die Kinder Pflanzensamen in der Erde verbuddeln, Torf riechen, das Wachstum des Gemüses Woche für Woche beobachten und in der Erntezeit erfahren, wie Lebensmittel schmecken, die nicht aus der Mikrowelle kommen und zwischen zwei Weizenbrötchenhälften liegen. Hier lernen sie mit allen Sinnen, hier gewinnen sie bleibende Eindrücke.
Nachdem Chrissi ihr Glas Orangensaft zum Toast gehoben und ein paar Worte an die Eltern gerichtet hat, übergibt sie mir das Wort, sodass ich – endlich! – meine frohe Botschaft mit denen teilen kann, für die sie relevant ist. Ich wende mich also an die Sternenkinder, die im nächsten Jahr in meine Klasse kommen, und teile ihnen feierlich mit, dass ich ihr Klassenlehrer sein werde. Die Eltern und Kinder freuen sich sehr und beglückwünschen mich zu der Stelle. Im selben Moment machen mir die Eltern aber auch klar, dass sie hohe Erwartungen haben – schließlich sei im letzten Schuljahr so einiges schiefgegangen. So viel Unterricht sei ausgefallen, so viele Lehrer seien durch die Klasse geschleust worden, dass die Kids einiges verpasst hätten. Sofort zücken engagierte Mütter ihre Telefone und speichern meine Kontaktdaten, damit sie mich bei Fragen direkt anrufen können.
An Sarahs Blick erkenne ich, dass sie noch nicht so recht weiß, was sie von der Sache halten soll. Langsam wird ihr wohl klar, dass ich demnächst die schulpädagogische Hauptverantwortung für siebzehn Kinder tragen werde – und mit ihrer Ungläubigkeit geht es ihr genau wie mir.
Doch jetzt, wo ich mich mit dieser Aufgabe konfrontiert sehe, scheint alles einen Sinn zu ergeben. Mein Studium, das ursprünglich zu einem anderen Beruf führen sollte, in dem ich aber vielleicht pädagogisch relevantere Dinge gelernt habe als in einem Lehramtsstudium; der Einstieg als Assistent der Schulleitung, der mir einen ersten Blick hinter die Kulissen der schulischen Arbeit gewährt hat; mein Quereinstieg in den Lehrerjob, in dem ich – ähnlich wie ein Referendar – brutal ins kalte Wasser gestoßen wurde und anhand wilder Erfahrungen lernen musste, erst einmal die richtigen Bedingungen für Unterricht zu schaffen, bevor ich mich den Lerninhalten widmen konnte; die Position als stellvertretender Klassenlehrer, in der ich ansatzweise einen Eindruck davon bekomme, was die Verantwortung für einen Haufen Kinder meist bildungsferner Eltern mit sich bringt; die kurzfristige Übernahme des Deutschunterrichts; und nicht zuletzt: die nun mehr als zweijährige Berufserfahrung als Lehrer, die mich Tag für Tag an meine Grenzen und darüber hinaus bringt. All das, so scheint es mir nun, findet in der Rolle des Klassenlehrers einen Sinn.
In den folgenden Schultagen schlagen mir die unterschiedlichsten Reaktionen entgegen. Die Schüler, vor allem die meiner zukünftigen Klasse, freuen sich riesig, und auch der Großteil meiner Kollegen spricht mir Glückwunsche für die Verlängerung und Lob für meine Entscheidung aus. Geierchen hält mich nach wie vor für komplett durchgeknallt, aber das beruht auf einer sehr angenehmen Gegenseitigkeit. Andere dagegen, zum Beispiel unsere Personalrätin, sind überhaupt nicht begeistert.
»Einen Quereinsteiger als Klassenlehrer? Jetzt geht’s ja los!«, reagiert sie entrüstet und wirft dann schnell hinterher, ich solle diese Aussage nicht persönlich nehmen. Weil sie diese Entwicklung aber so furchtbar finde, erklärt sie mir, werde sie den Fall vor den Personalrat bringen.
Da der Vertrag immer noch nicht unterschrieben ist, macht sich ein sehr ungutes Gefühl in mir breit. Adrenalin, dieses hässliche und doch überlebenswichtige Stresshormon, wird in meinem Hirn innerhalb von Millisekunden kiloweise ausgeschüttet. Verstärkt wird es durch die Bemerkung der Personalrat-Tante, dass bisher keine einzige Vertragsverlängerung der Quereinsteiger genehmigt worden sei.
»Ganz abgesehen von Frau Juhnkes Fehlentscheidung, dich als Klassenlehrer einzustellen«, beendet sie ihre Hiobsbotschaft.
Jetzt reicht’s mir aber!
»Mal ganz ehrlich«, entgegne ich leicht genervt. »Es gibt jede Menge Lehrer, die trotz
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