Isch geh Schulhof: Erfahrung
ausgelassen durch den Klassenraum, lachen und hüpfen wild herum und scheinen für einen Moment alle Sorgen zu vergessen, die viele von ihnen in ihrem zarten Alter bereits haben.
Der Musikunterricht und speziell diese Spiele zeigen immer wieder, welche Zutaten für gelungenen Unterricht nötig sind: die Nähe zur Lebenswelt der Kinder, der Spaßfaktor und die geistige und körperliche Herausforderung.
Apropos Lebenswelt: Am Ende der Stunde kommt Cedric auf mich zu und schaut mich durch seine Brille auf der Nasenspitze schuldbewusst an.
»Herr Müller, sch’wollt nochma Schulligung sagen, wegen vorhin.«
Nachdem ich seine Entschuldigung angenommen habe, fragt er mich beiläufig, ob ich einen Marcel aus der 5e kennen würde. Ich nicke und will wissen, wieso er mich das fragt. Er lächelt mich an.
»Marcel ist mein Onkel.«
14
Isch hab mit Flugzeug gegeht
E ine weitere Klasse, die ich in diesem Jahr etwas besser kennenlerne, ist die 4d. Hier unterrichte ich seit Anfang des Jahres Sport und Musik und wurde von Frau Juhnke außerdem für eine Doppelstunde als Zweitlehrer eingeteilt – gemeinsam mit dem Klassenlehrer.
Wegen des konstant hohen krankheitsbedingten Ausfalls in unserem Kollegium wurde ich bisher immer für Vertretungen in anderen Klassen eingesetzt, und so findet erst heute, über drei Monate nach Beginn des Schuljahres, mein erster Auftritt als Zweitlehrer in der 4d statt.
Im vorherrschenden Chaos habe ich zuerst Mühe, den Klassenlehrer zu finden, doch dann entdecke ich einen Mann, der zwischen brüllenden, spielenden, quatschenden, singenden, aus dem Fenster schauenden, malenden und sich prügelnden Kindern aus einem Buch vorliest – offenbar in der Annahme, jemand höre ihm zu. Ich suche mir einen Platz in der letzten Reihe und beobachte die Szene aus der Perspektive der Schüler.
Als ich mich nach einigen Minuten wieder erhebe, nimmt mich der Lehrer das erste Mal wahr und lächelt mich durch Krawall und Lärm hindurch freundlich an. Bei ihm handelt es sich um einen verdammt netten Typen – doch scheint er mir nicht, vielleicht nicht mehr, in der Lage zu sein, knapp dreißig Kinder auf einmal zu unterrichten.
»Äh, hallo?«, ruft er fragend in die Klasse. »Hört ihr mir noch zu?«
Noch? Allem Anschein nach hat hier von Anfang an niemand zugehört. Weil die Kids mich und die strengen Regeln des Sportunterrichts schon kennen, kehrt etwas Ruhe ein, als ich langsam zur Tafel gehe. In diesen Effekt habe ich verdammt viel Zeit und Energie investiert!
Die Kids erwidern meine Begrüßung mit den unterschiedlichsten Gesten und kommen sich anscheinend besonders cool dabei vor, mir zu demonstrieren, wie daneben sie sich bei ihrem Klassenlehrer benehmen können. Ich lasse das Chaos geschehen und setze mich an den Lehrertisch, um die Performance des Klassenlehrers weiter zu beobachten. Bis zur Pause ändert sich an der Unterrichtssituation wenig. Als er sich dann kurz entschuldigt, kommt ein Schüler aufgeregt auf mich zu.
»Herr Mülla, Sommerferien sch’ab Türkei gegeht!«
»Du bist in den Sommerferien in die Türkei gegangen?«, frage ich ihn ungläubig, woraufhin er stolz lächelt und nickt.
»Zu Fuß?«
»Ohaaaaaa, nein, is ieberweit«, erklärt er mir. »Sch’ab mit Auto gegeht.«
Ich frage ihn, ob er wirklich mit dem Auto bis in die Türkei gegangen sei.
»Ja, sch’wöre!«, entgegnet er und legt mit dem ernsten Blick eines Mafiabosses die rechte Hand aufs Herz.
»Also, du hast unten ein großes Loch ins Auto gesägt und bist dann mit dem Auto gegangen?«, hake ich nach.
Er sucht angestrengt nach den richtigen Worten und erklärt mir dann, dass er »mit Auto gefahrt hat«. Als ich von ihm wissen will, ob er denn schon einen Führerschein habe, stößt er langsam an die Grenzen seiner Geduld.
Natürlich weiß ich, was er mir sagen will – aber ich bin nicht umsonst sein Lehrer und werde schließlich dafür bezahlt, ihn zu verbessern.
»Nein, meine Vater! Er hat Führerschein, und er is gefahrt!«
Na gut, das lassen wir mal gelten.
Ein Mädchen mischt sich in unseren Dialog ein.
»Hast du Sommer Türkei gegeht?«, will sie aufgeregt von ihrem Klassenkameraden wissen.
»Nein«, erklärt er konzentriert. »Sch’ab mit meine Vater gefahrt.«
»Hast du mit Flugzeug gefahrt?«, fragt sie ihn weiter, und als er ihr erklärt, dass sie mit dem Auto in die Türkei gefahren seien, beendet sie das Gespräch mit dem berühmten abschätzigen Schnalzen und der passenden
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