Isch geh Schulhof: Erfahrung
passiert, flüstert er ihr gut hörbar das hässlichste Wort zu, das man zu einer Frau sagen kann. Sie steht auf und will ihm in den Hintern treten, während er ihr auf direktem Weg an die Gurgel geht.
»Es reicht!«, brülle ich nun in voller Lautstärke und schlage dabei mit der flachen Hand auf meinen Tisch.
Die Klasse erstarrt. Nur allzu oft habe ich mir vorgenommen, nicht laut zu werden, aber angesichts einer drohenden Schlägerei ist es immer noch die wirksamste Methode. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich die beiden Streithammel an. Beide scheinen zu wissen, was das bedeutet.
Ich nicht.
Zum Glück kam es noch nie so weit, dass ich Sätze vollenden musste wie: »Wenn ihr nicht gleich aufhört …« oder »Cedric, noch so ’n Ding und …« Ein paar lange Sekunden vergehen, während sich niemand in der Klasse auch nur einen Millimeter bewegt. Die einschüchternde Körperhaltung für solche Momente musste ich lange üben: stabiler Stand, Oberkörper leicht nach vorne, Bauch rein, Brust raus, die Arme nach unten durchgestreckt, die Hände offen mit den Handflächen in Richtung Gegner, die Augen weit aufgerissen, kein Blinzeln, Augenbrauen gerunzelt. Leider ist diese aggressive Körpersprache das einzige Signal, das manche meiner Schüler verstehen. In dieser Haltung verharre ich für einige Sekunden, um dann langsam in eine entspanntere Haltung überzugehen. Zwei- oder dreimal blinzeln, dann lassen Cedric und Seda sich los. Geschafft. Das waren die ersten zwei Minuten von fünfundvierzig.
Weiter, Möller – du kannst es schaffen!
»So, Cedric, wie geht’s dir denn heute?«, frage ich ihn leise, als er an meinem Tisch angekommen ist. Nachdem er mich zähneknirschend über alles informiert hat, weiß ich, dass er heute seine Tabletten nicht genommen hat. Deshalb schicke ich ihn runter, wo er drei Runden im Hof laufen soll.
Das Dilemma, in das ich dabei gerate, ist immer dasselbe: Chaos im Unterricht oder Verletzung der Aufsichtspflicht? Denn Bewegung ist nach meiner Erfahrung das Einzige, das wenigstens ein bisschen hilft, wenn Schüler wie Cedric ihre Medikamente nicht genommen haben und deshalb ständig an der Schwelle zum Ausrasten stehen.
»Also«, versuche ich die Musikstunde zu beginnen, als Cedric die Klasse verlassen hat. »Holt bitte die Texte von Hey Soul Sister raus!«
Mit Rückblick auf den grausamen Musikunterricht meiner Schulzeit habe ich ein oberstes Ziel für meinen eigenen formuliert: Die Kids sollen Freude an der Musik empfinden. Damit war schnell klar, dass das Aufführen von peinlichen Kindermusicals aus den Achtzigern oder das Einstudieren von Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad das genaue Gegenteil erzielen würden. Aus der Disco ist außerdem eine einfache Regel bekannt: Die Leute feiern zu den Songs, die sie kennen.
Also habe ich mir am Anfang des Schuljahres die Lieblingslieder der Kids nennen lassen und zu Hause all die, die sich auf der Gitarre spielen lassen, für den Unterricht vorbereitet. So habe ich in kürzester Zeit ein Repertoire zusammengestellt, mit dem ich in jeder Klasse für Begeisterung sorgen kann.
»Oha, Herr Müller – er kennt unsere Musik!«
»Abboooh, er’s voll cool, sch’wöre!«
Ja, so einfach kann es sein. Außerdem erinnere ich mich bestens an meine eigene Kindheit, in der ich mit den Songtexten von Michael Jackson, Madonna und Roxette meine ersten der englischen Sprache erlernt habe. Deshalb gehe ich vor jedem Song die Bedeutung und die Aussprache aller Texte durch – fächerübergreifendes Lernen at it’s best!
Als sich die Kids von Cedrics Performance beruhigt haben, stimme ich einen unserer Songs auf der Gitarre an und beginne alleine zu singen. Die Mädchenclique um Seda herum gibt zwar ihr Bestes, um während meiner Darbietung nicht in lautes Gelächter auszubrechen – aber nach ein paar Zeilen platzt es aus ihnen heraus.
Wer kennt sie nicht, diese großartigen Situationen, in denen das Lachen verboten ist und deswegen umso mehr Spaß macht?
Ich lege die Gitarre beiseite, schaue die Mädels an, gehe einen Schritt auf sie zu und stimme den Song noch einmal an – nur eine Oktave höher. Bei dieser dämlichen Aufführung kann sich auch der Rest der Klasse kaum noch zusammenreißen, und so muss schließlich sogar ich grinsen.
Das mache ich am liebsten: Faxen. Was kann ich Besseres tun, als die Kinder zum Lachen zu bringen?
In solchen Situationen wird mir immer wieder eines klar: Nur wenn die Schüler mit ihrem Lehrer etwas
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