Isch geh Schulhof: Erfahrung
gedauert. Ich bleibe neben dem Tisch stehen und schaue die Mädels fragend an.
»Wir wollen nicht rein«, nölt die eine, während die andere unbeeindruckt weitermalt.
»Das ist mir doch egal. Rein mit euch!«, sage ich in freundlichem, aber bestimmtem Ton und mache dazu aufscheuchende Handbewegungen.
Die beiden packen ohne weitere Beschwerden ihre Sachen ein und gehen in die Klasse. An Frau Herrmanns Stelle wäre mir das ziemlich peinlich, aber die steht auf, schaut lächelnd durch mich durch und bedankt sich. Meinen Hinweis auf den kommenden gemeinsamen Unterricht nimmt sie freudig entgegen.
»Ach ja, das ist gut. Wir machen Kunst.«
Kunst machen – ein wahrlich dehnbarer Ausdruck.
Nach ein paar unspektakulär verlaufenden Schulstunden nähere ich mich Frau Hermanns Klasse und höre schon von Weitem viele laute Kinderstimmen. Im Vorbeigehen verhindere ich eine drohende Prügelei und betrete schließlich den Klassenraum. Wie erwartet sitzt Frau Herrmann mitten im Chaos und starrt lächelnd aus dem Fenster. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass die Stunde bereits begonnen hat, aber das scheint hier noch niemand bemerkt zu haben. Ich stelle mich vor die Tafel und räuspere mich hörbar. Stille kehrt langsam ein. Die mühsame Arbeit, mir einen Ruf als strengen Lehrer zu verschaffen, hat sich gelohnt. Nicht nur die Klasse, auch Frau Herrmann scheint etwas überrascht von meiner Anwesenheit.
»Was machst du denn hier?«, fragt sie mich verwundert.
»Ich bin zur Vertretung hier eingetragen. Wir hatten doch heute Morgen schon …«
»Ja, weiß ich doch«, entgegnet sie, als hätte der erste Teil des Dialogs nie stattgefunden.
Merkwürdig.
Die Kids sind schnell zu ihrer Spielroutine zurückgekehrt, sodass der Geräuschpegel wieder steigt. Ich wiederhole mein Räuspern etwas lauter und füge beinahe flüsternd hinzu, dass bei drei alle auf den Plätzen sitzen. Die meisten der Kinder kenne ich vom Pausenhof, aber als gesamte Klasse hatte ich sie noch nie vor mir.
Am besten bekannt ist mir ein blonder Junge mit dem Namen Fabian. Er ist stolzer Besitzer der sehr beliebten Schuhe, in deren Sohlen Rollen eingebaut sind. Nach ein paar Schritten Anlauf zieht er die Spitze des vorderen Fußes hoch und gleitet dann halbwegs elegant durch die Gegend. Mit diesen Schuhen cruist er so häufig durch die Gänge, dass ich mich frage, ob er überhaupt richtig gehen kann.
Mehrmals pro Woche bekomme ich rein zufällig mit, dass er in irgendeine Streiterei oder Rauferei verwickelt ist, auf die in der Regel hysterische Wut- und Heulanfälle seinerseits folgen, die erst nach mehreren Minuten vorbei sind. Auch hier ist es nicht anders.
Als einer seiner Mitschüler ihn beim Rollern im Weg steht, entfährt ihm ein lauter Wutschrei. Nur schwer kann er sich daraufhin wieder beruhigen. Die Nerven dieses Kerlchens scheinen vollkommen blank zu liegen. Frau Herrmann nimmt die Szene nicht zur Kenntnis und wendet sich der Klasse zu.
»So, Kinder, wir haben ja beim letzten Mal schon mit den Collagen angefangen.«
Ob sie merkt, dass ihr höchstens zwei Kinder zuhören?
»Und damit machen wir jetzt weiter. Okay?«
Die Klasse verhält sich, als wäre Frau Hermann überhaupt nicht da. Ob ich ein Foto von ihr machen soll, um sicherzustellen, dass ich sie mir nicht einbilde?
Sie lächelt mich zufrieden an und teilt mir mit, sie würde sich mal rasch einen Tee kochen gehen.
Ja, bitte, dann kann ich hier wenigstens für Ruhe sorgen.
Als sie den Raum verlassen hat, weise ich die Schüler dazu an, sich ihre Collagen zu holen, was diese ohne Widerrede tun. Einige Augenblicke später befinden sich Hunderte ausgeschnittener Bilder, Scheren, Klebestifte und die unvollendeten Kunstwerke auf den Tischen. Die Aufgabe bestand offensichtlich darin, irgendwelche Bilder aus irgendwelchen Zeitschriften auszuschneiden und diese wahllos auf weiße DIN -A3-Bögen zu kleben. Anders kann ich mir die bisherigen Arbeitsergebnisse nicht erklären. Von einer Zweitklässlerin, die ich vom Hof kenne, lasse ich mir diesen Nonsens erklären.
»Also«, beginnt sie und überlegt einen Moment. »Da vorne liegen Zeitschriften, und aus denen sollen wir Bilder ausschneiden und auf das Papier kleben.«
Aha, super. Als mein Blick durch das mit optischen und akustischen Reizen überflutete Klassenzimmer schweift, reagiert aus irgendeinem Grund plötzlich mein Lustzentrum. Es zwickt einmal kurz im Gehirn. Und, na gut, auch in der Leistengegend. Ich erachte das als Fehler in
Weitere Kostenlose Bücher