Isch geh Schulhof: Erfahrung
über die Neuigkeiten.
»Frau Herrmann bastelt mit ihrer Klasse Titten-Collagen«, sagt sie provokativ und entschuldigt sich mit einer kurzen Handbewegung für ihre Ausdrucksweise.
»Super«, antwortet Tom mit einem Lächeln im Gesicht. »Die können wir ja dem Hausmeister schenken. Kann er sich neben die Titten-Kalender in seiner Werkstatt hängen. Miss November sieht gar nicht so übel aus.«
»Wo bin ich hier nur gelandet?«, fragt Frau Juhnke laut und schlägt die Hände vors Gesicht.
Während sie sich seufzend die Augen reibt, nehme ich den Faden wieder auf und erzähle von dem Stapel unbearbeiteter JÜL -Materialien in Frau Herrmanns Schrank. Auch das scheint Frau Juhnke nicht gewusst zu haben, und es strapaziert ihre Geduld endgültig über. Entschieden macht sie sich eine Notiz, bedankt sich dann bei mir und versichert mir kopfschüttelnd, sich um alles zu kümmern.
Während der wenigen ruhigen Phasen meiner nächsten Stunden frage ich mich, ob ich wegen des Gesprächs ein schlechtes Gewissen haben sollte, komme aber zu dem Schluss, dass ich meine Entscheidung im Interesse aller Beteiligten getroffen habe. Auch dem von Frau Herrmann. Denn auch wenn sie es sich selbst nicht eingesteht, ist unübersehbar, dass sie mit ihrer Aufgabe vollkommen überfordert ist. Leider ist sie damit wahrscheinlich nicht die Einzige. Von Gesprächen mit erfahrenen Kollegen weiß ich, dass es an fast jeder Schule mindestens eine solche Kollegin gibt. Mindestens eine Person, von der alle wissen, dass sie immer den gleichen Unterricht durchzieht, zudem mehrmals im Jahr krankgeschrieben ist und ständig den Eindruck macht, als stünde sie unter hoch dosierten Beruhigungsmitteln.
Aber weil das System der Staatsdienerschaft solche Fälle nicht vorgesehen hat, sind die Schulleitungen machtlos – die Klapperkandidaten müssen mitgeschleppt werden, komme, was wolle. Eine Kündigung ist wegen des Beamtenstatus nicht möglich, und eine Versetzung – wenn sie überhaupt erreicht werden kann – verlagert das Problem auch nur an eine andere Schule und hilft weder den bisherigen noch den zukünftigen Schülern und Kollegen weiter.
Zu Hause führe ich meine düsteren Gedanken gemeinsam mit Sarah fort, und weil wir uns mit unseren Spekulationen über das derzeitige Renteneintrittsalter nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollen, bemühen wir das zuverlässigste Instrument der Informationsbeschaffung, das die Menschheit bisher entwickelt hat. Nach nur wenigen Klicks kennen wir die Daten etwas genauer und fragen uns jetzt erst recht, warum nicht schon längst ein Aussteigerprogramm für Lehrer entwickelt wurde. Wenn es auf politischer Ebene entweder keine Kompetenz oder keine Bereitschaft gibt, die Arbeitsbedingungen für Lehrer zu verbessern, warum wird dann nicht wenigstens auf den Umstand reagiert, dass es laut Statistischem Bundesamt gerade mal fünfunddreißig Prozent aller Lehrer schaffen, erst mit Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze aus dem Beruf auszuscheiden? Warum Lehrer im Ruhestand im Durchschnitt gerade mal achtundfünfzig Jahre alt sind, können wir nach meinen Erfahrungen an der Schule sehr gut nachvollziehen, aber die Gründe für das Fehlen sinnvoller Konzepte in diesem Zusammenhang erschließen sich uns nicht.
Warum setzt man diese Menschen, die zwar nicht mehr in der Lage sind, eine Schülermeute in Zaum zu halten, aber über tonnenweise wertvolle Berufserfahrung verfügen, nicht in der Ausbildung ihrer Nachfolger ein? Warum findet man für sie keine Jobs in der Verwaltung, der Schulpsychologie oder in einer der zahlreichen anderen staatlichen Einrichtungen? Warum entlässt man diese teuer ausgebildeten, wandelnden Erfahrungsschätze in die frühzeitige Rente, wodurch ein immenser volkswirtschaftlicher Schaden entsteht, weil ihr Potenzial zwischen Balkonpflanzen, Kreuzworträtseln und Thomas Gottschalk verwelkt?
Die einzige plausible Antwort, die wir im Laufe des Abends auf diese vielleicht etwas naiv anmutenden Fragen finden, ist so traurig wie erschreckend: Dilettantismus. Die scheinbar grenzenlose Unfähigkeit einiger Politiker, den Job zu erledigen, für den wir sie gewählt haben, macht mich echt fertig.
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Aua, meine Röbelsäule!
D ie Vertretungsstunde bei Frau Herrmann und mein anschließendes Gespräch mit der Schulleitung haben mich in den letzten Tagen noch viel beschäftigt, doch spätestens heute sollte ich auf andere Gedanken kommen. Der Grund dafür ist eine der größten Herausforderungen,
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