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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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der Matrix und ignoriere den Impuls. Dann laufe ich weiter durch die Klasse und schaue mir die Collagen an – aber da ist es wieder: Irgendetwas stimuliert mein sexuelles Verlangen! Was ist das bloß?
    Ich scanne meine Umgebung auf der Suche nach der Ursache für diese deplatzierte Reaktion und werde schließlich auf der Collage eines Drittklässlers fündig: Brüste. Splitternackte, wohlgeformte, weibliche Brüste, und dazu eine bis zum Bauchnabel unbekleidete junge Frau.
    »Wo hast du das Bild denn her?«, frage ich den Schöpfer des Kunstwerks, das mit Luxuskarossen, Unterwäschemodels und verschiedenen Jagdmessern überladen ist.
    »Na, aus der Zeitschrift da vorne«, entgegnet er unschuldig. »Meine Nachbar – er hat auch!«
    Er zeigt auf die Collage des Jungen neben ihm, und auch hier entdecke ich Damen, deren Bekleidung nur wenig Raum für Fantasie übrig lässt. Auch auf den Collagen der restlichen Klasse finde ich bei genauerer Betrachtung jede Menge nackte Haut, Brustwarzen, Piercings und Tattoos.
    Ich meine zwar, von einer moralinsauren Prüderie weit entfernt zu sein, und müsste lügen, wenn ich sagen würde, die meisten der hier dargestellten Abbildungen würden mir nicht gefallen – aber was hat so etwas in einer Gruppe sechs- bis neunjähriger Kinder zu suchen?
    Als Frau Herrmann von ihrer spirituellen Reise zum Planeten Rooibos zurückkehrt, konfrontiere ich sie mit den Bildern.
    »Wirklich?«, fragt sie mit dem Maximalgehalt an Überraschung, den sie in der Lage ist auszudrücken. »Woher haben die denn bloß diese Bilder?«
    »Aus den Zeitschriften«, erkläre ich ihr ungeduldig. »Wo kommen die überhaupt her?«
    »Die haben die Kinder mitgebracht. Na, das ist ja was …«
    Geistesabwesend blättert sie in einer der Zeitschriften herum, als uns die Pausenklingel unterbricht. Als die zweite Stunde anbricht, löst Frau Herrmann das Problem, indem sie die Collagen wegräumen lässt und eine Stunde Deutsch einschiebt. Dazu verteilt sie kurzerhand ein paar Arbeitsblätter und setzt sich wieder an ihr Pult. Von dort aus beantwortet sie die Fragen der wenigen Kids, die sich zu ihr vortrauen und ihre Meditation unterbrechen.
    Ich hingegen bin nonstop im Einsatz. Permanent muss ich Einzelne zur Ruhe auffordern, kleinere Rangeleien schlichten und Fragen beantworten, wie ich sie von Kindergartenkindern erwartet hätte.
    Am besten gefällt mir jedoch die Aktion eines Jungen aus der Gruppe der Sonnenkinder, der mitten in der Stunde seine Sachen packt und zur Tür geht. Als ich ihn frage, was er vorhat, wartet er mit der coolsten Antwort auf, die ich je von einem Sechsjährigen gehört habe: »Mir reicht’s. Ich mach mich vom Acker!«
    Nach der Stunde treffe ich Chrissi und berichte ihr von meinem Erlebnis. Die drängt mich dazu, das Ganze an die Schulleitung weiterzugeben, denn ihrer Meinung nach muss Frau Juhnke die Beschwerden über Frau Hermann von allen Seiten bestätigt bekommen.
    Aber ich zögere. Soll ich wirklich eine Kollegin verpetzen?
    »Philipp, denk doch bitte mal an die Kinder«, fordert Chrissi mich eindringlich auf. »Die verschlafen die ersten Jahre ihrer Schullaufbahn – und ich glaube, du weißt, was das pädagogisch bedeutet!«
    Sie hat recht. Unabhängig von der Vermittlung einer grundsätzlichen Arbeitseinstellung, die in der Schule in allen Fächern unbedingt beachtet werden sollte, habe ich herausgefunden, dass sämtliche Arbeitshefte, die nach langer Diskussion für den gesamten JÜL -Bereich angeschafft wurden, bei Frau Herrmann im Schrank liegen – vollkommen unbearbeitet.
    Im Schulleitungsbüro angekommen, tue ich mich schwer, mein Anliegen vorzutragen, doch schon nach ein paar vorsichtigen Worten ahnt Frau Juhnke, worauf ich hinauswill.
    »Also, wenn es dabei um Frau Herrmann geht«, beruhigt sie mich, »dann weiß ich Bescheid.«
    »Auch von den nackten Frauen?«, will ich von ihr wissen, aber immerhin das scheint ihr neu zu sein. Ich berichte ihr von den Collagen und merke außerdem an, dass Frau Herrmann auf mich insgesamt etwas abwesend wirkt.
    »Das haben Sie schön ausgedrückt«, sagt Frau Juhnke lächelnd und klärt mich dann über die gesundheitliche Lage und katastrophale berufliche Performance meiner Kollegin auf. Wegen des Beamtenstatus, den Frau Herrmann genießt, sei es der Schulleitung jedoch unmöglich, daran etwas zu ändern.
    »Mir sind die Hände gebunden«, gibt Frau Juhnke schließlich resigniert zu, und als Tom den Raum betritt, informiert sie ihn sofort

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