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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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das ich auf meinem heutigen Streifzug entdeckt habe. Die hellbraune Haarsträhne lasse ich unerwähnt, schon aus Rücksicht auf meine Mutter. Ihre Angststörung bekam nach Alinas Verschwinden einen neuen Schub, sie musste damals sogar für ein paar Wochen in die Psychiatrie.
    Eine Weile hört Pa mir mit halbem Ohr zu, während er isst und sein zweites Bier trinkt, aber mehr als »Hmm« und »Erstaunlich« sagt er nicht. Kleine graue Vögel interessieren ihn nicht sonderlich, auch wenn sie noch so selten und faszinierend sind und ihr Auftauchen in seinem Forstrevier eine mittlere Sensation ist.
    Pa plagt sich mit ganz anderen Problemen herum. Mit Windbruch, Baumschädlingen und Wildschäden, die überhandnehmen. Der im Westen an den Wald hinter unserem Dorf grenzende Truppenübungsplatz ist sein Revier und gehört zum Bundesforst. Die Bundeswehr unterliegt strengen Naturschutzauflagen. Dafür, dass die Soldaten auf dem Gelände Krieg spielen dürfen, wird viel Geld in Neuanpflanzungen gesteckt, die dem Schallschutz dienen sollen. Aber es gibt zu viele Rehe, die die Spitzen der angepflanzten Tannen fressen, deshalb hat Pa ab und zu Ärger mit dem Platzkommandanten.
    Auch die Wildschweine vermehren sich zu schnell und Pa und seine Jagdgenossen kommen mit den Abschüssen nicht hinterher. Die Tiere fressen sich auf den angrenzenden Feldern satt und die Bauern beschweren sich, dass er seine Arbeit nicht ordentlich macht.
    Und noch etwas raubt ihm die Zeit: Seit einigen Monaten steht zur Diskussion, ob der Truppenübungsplatz von der Bundeswehr aufgegeben wird. Die Frage, wie das Areal danach genutzt werden soll, erhitzt seitdem die Gemüter in den umliegenden Dörfern. Pa muss ständig auf irgendwelchen Versammlungen anwesend sein und ist deshalb kaum noch auf Pirsch in seinem Revier.
    Und Ma … sie hört mir zwar zu, aber sie findet, dass Raubwürger unheimliche Vögel sind, weil sie ihre Beute mit einem gezielten Biss ins Rückenmark töten und die kleinen Kadaver für schlechte Zeiten als Vorrat auf Dornen spießen.
    Meine Mutter steht tausend Ängste aus, wenn sie weiß, dass ich alleine im Wald unterwegs bin, in dem unzählige Gefahren lauern. Spitze Dornen oder unsichtbare Felsspalten; Blindgänger aus der Nachkriegszeit, Bäume, von denen ich stürzen und mir die Knochen brechen kann, wilde Tiere mit scharfen Zähnen. Und natürlich der böse Mann, der mich eines Tages holen wird, so, wie er Alina geholt hat.
    Du wirst dir wehtun, Jola, du wirst schon sehen.
    Seit der Sache mit Alina sieht Ma den Schrecken auch dort, wo keiner existiert – dagegen helfen nicht mal ihre Pillen. Sie kann den Gedanken, dass es mich ebenso hätte treffen können, einfach nicht verwinden und ihre Ängste bestimmen unseren Familienalltag. Eltern sollten einem beibringen, wie man das Leben meistert und sich nicht davor fürchtet. Doch auch wenn sie vielleicht nicht den Titel »Eltern des Jahres« verdienen: Ich liebe Ma und Pa.
    Meine Mutter sieht heute besonders hübsch aus. Ihr sonst blasses Gesicht ist auf Stirn und Wangen leicht gerötet von der Maisonne. In ihrem dunkelroten T-Shirt und mit dem blauen Tuch im Haar sieht sie verdammt jung aus. Leider scheint meinem Vater das alles nicht aufzufallen.
    Pa hat an, was er fast immer anhat: dunkle Cordhosen, dunkles T-Shirt und darüber ein offenes Holzfällerhemd. Er ist groß, über eins achtzig, deshalb fällt sein Bauchansatz noch nicht so auf. Außerdem sieht er gut aus. Wie George Clooney, sagt meine Freundin Saskia. Ich finde den Vergleich ziemlich weit hergeholt, aber vermutlich sieht man die eigenen Eltern mit anderen Augen als die übrige Welt.
    Nachdem ich die Spülmaschine eingeräumt und angestellt habe, verziehe ich mich in mein Zimmer. Ma wird ihren Sonntagabend entweder mit Kater Paul vor dem Fernseher verbringen oder stundenlang mit einer ihrer Schriftsteller-Freundinnen telefonieren. Und mein Vater macht sich auf den Weg zum »Jägerhof«, wo er mit seinen Kumpels ein paar Runden kegelt oder Doppelkopf spielt und noch ein paar Bierchen trinkt.
    Manchmal schaue ich mir zusammen mit meiner Mutter einen Film an, aber sie hat sich heute (wie so oft) für eine Komödie entschieden und ich finde Komödien doof. Viel lieber hätte ich den Tatort gesehen, aber Ma schaut prinzipiell keine Krimis oder Thriller, weil sie danach nicht schlafen

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