Isis
das, was geschehen war, als er es beim letzten Mal versucht hatte, hielt ihn im letzten Augenblick davon ab.
»Was habe ich dir gesagt?« Er war zu vertieft in sein Tun gewesen, um die Schritte hinter sich zu hören, und hätte das Kleine vor Schreck beinahe fallen lassen. Der Vater hatte im Zimmer gestanden, wutentbrannt, und das Kind so grob ins Bett zurückgestopft, dass es sofort zu schreien begann. Unwillkürlich hatte Khay sich kleiner gemacht und versuchsweise begonnen zu lächeln. Manchmal warf ihn der Vater durch die Luft, wenn er gute Laune hatte. Aber heute hatte er kein Glück.
Die Ohrfeige, die der Vater ihm ohne Vorwarnung versetzte, ließ ihn taumeln. Er schluckte tief, als bekäme er keine Luft, und versuchte tapfer gegen die aufsteigenden Tränen anzukämpfen, was allerdings misslang.
»Wenn du noch einmal hierher kommst, kannst du was erleben! Dann prügle ich dich windelweich, bis du endlich kapierst, dass du hier nichts verloren hast. Verstanden?«
Er versetzte dem Kleinen einen wütenden Stups, dass es neuerlich aufkreischte, und zerrte seinen Erstgeborenen aus dem Zimmer.
Jener Ohrfeige waren weitere gefolgt, mal kräftiger, mal weniger stark, stets jedoch unvorhersehbar wie ein schnell aufziehender Sturm. Seitdem duckte sich Khay vorsichtshalber, wenn er in die Nähe des Vaters kam. Manchmal konnte er seinen Zorn förmlich riechen, dann kroch er schnell unter den Tisch, versteckte sich hinter einer Tür oder versuchte, sich unsichtbar zu machen. Auch wenn der Vater zunächst freundlich wirkte, war es besser, nicht darauf zu vertrauen.
Khay erschien es sicherer, den großen Händen auszuweichen, die so hart zuschlagen konnten. Manchmal spürte er sie in seinen Träumen, dann weinte er beim Aufwachen so lange, bis Mama kam und ihn tröstete.
Aber seitdem ihr Bauch so unförmig dick geworden war, dass sie kaum noch ihr Zimmer verließ, schien sie ihn irgendwie vergessen zu haben. Er war viel allein, und die Sehnsucht nach dem Kleinen wurde größer als seine Angst. Deshalb war er auch heute hergekommen — nicht mit leeren Händen. Vorsichtig breitete er seine Geschenke auf der dünnen Decke aus, die das Kleine halb weggestrampelt hatte: einen kleinen Holzwagen, mit dem er besonders gern spielte, obwohl er schon reichlich ramponiert war, und angebissenes Fladenbrot, das er zusammen mit den getrockneten Feigen aus der Küche stibitzt hatte, als Letztes einen Tonkrug, noch halb mit Dattelbier gefüllt, den er unter der schnarchenden Neshet weggezogen hatte.
Das Kind schien richtig hungrig zu sein, denn es packte sofort eine Feige und begann mit offensichtlichem Genuss an ihr zu nuckeln. Dann langte es tapsig nach dem Krug, aber dafür war es noch zu klein. Khay hob ihn an den Mund des Kleinen und half ihm beim Trinken.
»Ich komme jetzt zu dir«, sagte Khay. »Willst du?«
Ein zufriedenes Glucksen schien ihm Antwort genug.
Er kletterte zu dem Kleinen ins Bett und nahm selbst einen großen Schluck aus dem Krug. Aus der Nähe roch das Kind heute etwas streng, aber es war trotzdem gemütlich, dicht neben ihm zu liegen. Beide tranken noch einmal von der warmen, inzwischen schal gewordenen Flüssigkeit. Und noch einmal und noch einmal, bis der Krug leer war. Dann rollte Khay sich zusammen, und schon bald waren die beiden aneinandergeschmiegt eingeschlafen.
oooo
Jedes Mal, wenn er sie sah, schien sie noch größer und mächtiger geworden zu sein: ein eindrucksvolles Massiv aus bronzefarbenem Fleisch, das sich bei der leisesten Bewegung in ein Meer zitternder Wellen verwandelte. Es erstaunte ihn immer wieder, mit welch wütender Entschlossenheit sie diese Wandlung zustande gebracht hatte. Denn als er sie vor vielen Jahren kennen gelernt hatte, war Schepenupet ebenso schlank und geschmeidig gewesen wie Udjarenes, die er vor einem halben Menschenleben geheiratet hatte. Heute würde es niemandem in den Sinn kommen, die beiden Frauen miteinander zu vergleichen, damals aber waren sie sich so ähnlich gewesen, dass man sie ohne weiteres für Schwestern hätte halten können: zwei schöne Kuschitinnen, die gemeinsam am Pharaonenhof von Napata aufwuchsen.
Er hatte sich nicht gleich in Udjarenes verliebt, die noch sehr jung gewesen war und fast krankhaft schüchtern, sondern zunächst nur Augen für Schepenupet gehabt, die ihm kühner, schlagfertiger und um vieles interessanter erschien. Zudem war sie die beste Kamelreiterin, der er jemals begegnet war.
»Eine Tochter des Windes, ja, das
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