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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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brandschatzten, schändeten, töteten und nahmen mit, was sie davontragen konnten.
    Im Strom der Flüchtenden, der sich durch die Gassen schob, einem blinden Wurm gleich, und immer wieder ziellos die Richtung änderte, weil der Feind von allen Seiten zugleich zu kommen schien, war auch Ruza. Beißender Rauch und von unzähligen Füßen aufgewirbelter Staub ließen ihre Augen tränen. Sie bemühte sich, trotzdem nicht zurückzufallen wie viele andere, die verzweifelt aufgeben mussten und am Straßenrand liegen blieben.
    »Isis!«, murmelte sie unablässig. »Große Mutter aller Mütter, schütze mich und das Kleine! Nimm mir nicht auch noch dieses Kind, ich flehe Dich an!«
    Sie klammerte sich an ihre Gebete, während um sie herum unter den unbarmherzigen Hufen des Stiers von Assur Wasets Schönheit erlag. Überall brennende Häuser, niedergetrampelte Gartenanlagen, Brunnen, die mit Kalk verstopft waren, Kanäle, in denen Kadaver dümpelten. Auf den überfüllten Straßen machten Sterbende und Verwundete das Vorankommen fast unmöglich. Als die Sonne sank, schien das Kind auf Ruzas Rücken mit jedem Schritt schwerer zu werden. Schließlich war sie so erschöpft, dass sie nicht mehr weiter gehen konnte.
    Sie blieb stehen, schaute sich verzweifelt um.
    Über dem Hafen standen dicke Rauchwolken, die mit dem Abendhimmel zu schmutzigem Grau verschmolzen. Offenbar war ein Großteil der Schiffe in Brand gesteckt worden, um auch diesen Fluchtweg abzuschneiden. Es schien unmöglich, unversehrt dorthin zu kommen, und noch aussichtsloser, mit einem Segelboot stromaufwärts auszulaufen, auch wenn sie dies Sarit bei ihrem Leben versprochen hatte.
    »Zur Mutter aller Mütter«, murmelte sie. »Leichter gesagt, als getan. Da werden wir wohl noch eine Weile warten müssen.«
    In einem verlassenen Haus, dessen Bewohner wie so viele in Panik vor den bärtigen Dämonen geflohen waren, fand sie vorübergehend Unterschlupf. Über der Feuerstelle entdeckte sie in einem Tontopf einen Rest Suppe, den sie hungrig hinunterschlang, bis ihr Magen rebellierte und sie alles wieder erbrach. Sie spülte sich den Mund aus, um den ekligen Geschmack loszuwerden.
    »Nur ein bisschen ausruhen«, sagte sie zu dem Kleinen.
    »Dann geht es mit frischen Kräften weiter. Hast du Hunger, mein Liebling?«
    Das Kind drehte den Kopf zur Seite, als sie ihm ein Stück Fladenrinde geben wollte, und begann zu weinen, laut und ungewohnt heftig. Als sie es jedoch an ihre Brust legte, wurde es wieder still. Es trank gierig, als wolle es mit der Milch auch die Illusion von Sicherheit in sich aufnehmen. Seine Wärme ließ Ruza etwas ruhiger werden, und als das Kleine schließlich eingeschlafen war, legte sie es behutsam zur Seite.
    Erst jetzt löste sie den Gürtel.
    Es dauerte, bis sie den Mechanismus begriffen hatte und das Versteck einen Spalt breit öffnen konnte. Als ihre Fingerspitzen das Metall ertasteten und sie schließlich das Gold aufblitzen sah, entspannten sich ihre Züge.
    Dann jedoch verschloss sich ihre Miene wieder.
    Vorsichtshalber hatte sie Sarits Reifen, um sie wertlos aussehen zu lassen, vor der Flucht mit Ruß geschwärzt, und erst dann in die Windel des Kleinen gesteckt, die schon längst gewechselt gehört hätte. Was sie jedoch im Gürtel entdeckt hatte, war um vieles kostbarer. In ihrer Brust wurde es eng, und für einen Moment musste sie mit den Tränen kämpfen.
    Plötzlich schämte sie sich, dass sie oft hässlich über die Herrin gedacht hatte. Und jetzt hatte Sarit ihr nicht nur den größten Herzenswunsch erfüllt, sondern zudem auch noch einen Schatz überlassen. Wenn allerdings einer der Assyrer ihn entdeckte, war ihrer beider Leben nichts mehr wert.
    »Sie dürfen uns nicht kriegen, hörst du?«, sagte sie leise.
    »Keiner von ihnen — niemals! Sonst war alles bisher umsonst.« Vorsichtig bettete sie das Kleine in ihre Armkuhle, damit es möglichst bequem lag, und schloss ihre Augen.
    Als sie wieder erwachte, war es dunkel, eine schwüle Halbmondnacht, erfüllt von unheilvollen Lauten. Sie ließ das Kleine einen Augenblick allein, um das Haus zu durchsuchen, und nahm alles Essbare an sich, was sie in der Eile finden konnte: Fladenbrote, ein Stück geräucherten Fisch, getrocknete Früchte. Zum Schluss füllte sie einen kleinen Tonkrug mit Wasser und steckte ihn mit den Speiseresten zu den Windeln in ihrer gewebten Tasche.
    »Wird eine lange Reise werden«, sagte sie halblaut, während sie einen Leinenstreifen von ihrem Saum riss, um dem

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