Isis
so schnell wie möglich loszuwerden.
Was war der wirkliche Grund für sein Ausweichmanöver?
So sehr er seinen Kopf auch marterte, ihm wollte keine plausible Lösung einfallen. Aber das war nicht das Einzige, das ihn quälte. Ein ungutes Gefühl hatte er schon morgens gehabt, als er sein Haus verlassen hatte. Was immer sich dort auch in den vergangenen Stunden zugetragen haben mochte, er musste es erfahren.
Das Bild Sarits auf dem zerwühlten Bett stieg in ihm empor, und seine Bitternis wuchs. Es war ihre Kühle, die ihn inzwischen zur Raserei treiben konnte, ihr Hochmut, den er in jedem Blick, jeder Geste zu spüren glaubte. Er hatte ausgehalten, zähneknirschend, weil er sie zur Mutter seiner Söhne erkoren hatte, um die Vergangenheit auszulöschen. Aber er hatte nicht gewusst, wie hoch der Preis dafür sein würde.
Denn Sarit gelang es, ihn so wütend zu machen, dass er manchmal vor sich selbst erschrak. Allerdings wusste er inzwischen, was er tun musste, um wieder zu sich zu kommen, wenn der Zorn übermächtig wurde.
Und vor allem, wo er es tun konnte.
Der Impuls, sich auf der Stelle Erleichterung zu verschaffen, wurde immer stärker. Pepi und die anderen Gardisten schienen gar nicht bemerkt zu haben, dass er sich bereits ein Stück entfernt hatte. Probeweise vergrößerte er die Distanz, und noch immer fiel keinem seine Abwesenheit auf.
Und plötzlich war es, als gehorchten seine Füße und Beine eigenen Gesetzen. Sie trugen ihn fort, so sicher und schnell, als sei er noch der magere Junge von damals. Jetzt schaute er sich nicht einmal mehr um, denn sein Ziel war nicht mehr fern.
oooo
»Pressen!«, schrie Selene. »Jetzt!«
»Ich kann nicht mehr«, flüsterte Sarit. »Wieso lässt du mich nicht einfach sterben?«
»Du hast es gleich überstanden. Und jetzt weiterhecheln. Ja, so ist es gut!«
Verzweifelt sah Selene zur Tür. Wieso kam Ruza nicht endlich mit der Hebamme zurück? Inzwischen fürchtete sie wirklich um das Leben ihrer Freundin, die merkwürdig gleichgültig wirkte, beinahe so, als gehe die ganze Prozedur sie gar nichts an. Die kleine Isis in der Wiege schien die unerträgliche Spannung zu spüren und fing an zu weinen.
»Einmal noch — komm schon!«
Sarit presste, so fest sie konnte, aber das Kind steckte fest.
In diesem Augenblick stürzte Ruza aufgelöst ins Zimmer. »Fremde Soldaten ... überall in der Stadt«, rief sie. »Sie haben die Hebamme getötet. Die Assyrer sind da!«
Sarit wimmerte angsterfüllt, Selene jedoch gelang es, halbwegs ruhig zu bleiben.
»Halt deinen Mund und kümmere dich um die Herrin! Kräftig auf den Bauch drücken, aber schnell!«, kommandierte sie.
Endlich kam der Kopf des Kindes frei. In einem Schwall von Wasser und Blut schoss es heraus. Es war so blau und winzig, dass Selene es kaum ansehen mochte. Und es gab keinen Laut von sich.
Selene kappte die Nabelschnur. Dann schlug sie das Neugeborene vorsichtig auf Rücken und Hintern, aber es blieb stumm. Erst als sie es kräftig trocken gerubbelt hatte, ertönte ein leises Quäken.
»Ein Junge«, sagte Selene, aus tiefstem Herzen erleichtert, »und er lebt!« Wie erschreckend dünn und verschrumpelt sie ihn fand, behielt sie lieber für sich.
»Gesund?«, flüsterte Sarit. »Oder wie ... das Kleine?«
»Vollkommen und wunderschön«, sagte Selene ohne große Überzeugung. »Willst du ihn haben?«
Aber anstatt den neugeborenen Sohn an die Brust zu legen, wandte Sarit sich abwehrend zur Seite. Ohne lange zu überlegen, bettete Selene das Kind neben Isis in die Wiege. Neben dem kräftigen Mädchen sah der kleine Junge noch kläglicher aus. Schütze ihn, Mutter aller Mütter!, betete Selene stumm. Dein Atemhauch kann Tod in Leben verwandeln, Deine Gnade Bitternis süß machen. Lass ihn nicht sterben, um Sarits willen!
»Der Gürtel«, Sarit war kaum zu verstehen. »Ruza soll das Kleine holen. Basa, er kommt bald zurück .«
»Jetzt?«, fragte Ruza entsetzt. »Aber die fremden Krieger ... Sie haben Itaui getötet ...«
»Und wenn schon! Du hast gehört, was sie gesagt hat?«
Selene löste ihren Gürtel und band ihn ohne weitere Erklärungen der Amme um. »Gib ihn niemals aus der Hand, hörst du? Und jetzt sieh zu, dass ihr zum Hafen kommt! Worauf wartest du noch?«
»Wenn sie mich auch ...«
Von draußen war Basas Stimme zu hören.
»Dann musst du eben schneller sein. Oder schlauer. Hol das Kleine und lauf, wenn dir sein und dein Leben lieb ist!«, zischte Selene. Sie musste handeln, denn
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