Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
sterben, würde der große Fluss ihm seinen fruchtbaren Schlamm verweigern.«
    Jetzt sprach Schepenupet wieder mit dem harten, fast metallischen Ton, der sonst nur den offiziellen Prozessionen vorbehalten war, wenn die »Barke des Gottes« das Allerheiligste verlassen hatte. »Solange aber der Hapi uns gewogen bleibt, werden wir leben!«
    Einen Augenblick herrschte betroffene Stille. Dann formierten sich ihre Gegner zum erneuten Angriff.
    »Schön und gut, aber hast du nicht gelesen, was sie alles verlangen?« Irtis Stimme war schrill vor Abscheu. »Ihre Beuteliste ist endlos. Und jetzt erheben diese räudigen Hunde aus Assur auch noch Ansprüche auf die beiden großen Obelisken am Tempeltor. Vermutlich würden sie am liebsten ganz Waset an den Tigris verschleppen.«
    »Pharao Thutmosis hat sie vor langer Zeit errichten lassen zum Ruhme des Gottes, damals, als unser Land noch stark und mächtig war und keiner wagte, seine Grenzen anzutasten«, rief Harwa, seit ein paar Jahren Oberamtmann Schepenupets. »Niemals dürfen sie in feindliche Hände fallen. Lieber sterben, als sie kampflos übergeben!« Er warf einen Beifall heischenden Blick in die Runde.
    Die meisten pflichteten ihm halblaut bei, manche dagegen blieben zurückhaltender, weil sie unsicher waren, wie die »Gottesgemahlin« reagieren würde.
    »Genug der Toten!« Ächzend war sie aufgestanden, und ihre massige Gestalt schien auf einmal den ganzen Raum zu füllen. Aus gutem Grund hatte sie die Priester in die »Halle der Neunheit« bestellt. Sie war jenen Göttern vorbehalten, die gewissermaßen den Hofstaat Amuns bildeten, und lag unmittelbar vor dem Heiligtum, das die Gottesbarke beherbergte und als Übergang vom Allerheiligsten zum allgemein zugänglichen Teil des Tempels diente. Nirgendwo sonst war die göttliche Gegenwart so eindrucksvoll; nirgendwo sonst wie an dieser Schwelle zwischen Göttlichem und Irdischem das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit so präsent.
    »Wir müssen unsere Toten rächen!«, riefen die Männer.
    »Zumindest das sind wir ihnen schuldig.«
    »Wie tapfer und männlich gesprochen! Aber erlischt dadurch das Leid der Mütter? Und werden dadurch die Leblosen wieder lebendig?« Schepenupet trug ein schlichtes weißes Kleid, das sie am Ausschnitt eingerissen hatte, wie es sich für eine Trauernde gehörte. Plötzlich wurde sie ganz formell.
    »Was übrigens die Obelisken betrifft — natürlich werden wir sie den Assyrern aushändigen. Ebenso wie alles andere, was sie fordern. Oder sollen vielleicht noch mehr Menschen geopfert werden?«
    »Aber sie haben alles abgefackelt und gestohlen, was sie davontragen konnten!«
    »Häuser lassen sich wieder aufbauen«, entgegnete Schepenupet ungerührt. »Und was bedeuten schon Möbel und Kleider? Das einzige Gut, das zählt, ist das Leben.« Sie vollführte eine elegante Drehung und sah ihren Gegnern direkt in die Augen. »Wer Amun dienen darf, sollte das eigentlich begriffen haben.«
    »Und die Pferde, Rinder und Schafe, die sie uns abpressen wollen?«, fragte Meru ungläubig.
    »Sollen sie bis zum letzten Stück erhalten«, sagte Schepenupet. »Ebenso wie Gold und Edelsteine. Sie sind die Sieger, wir die Besiegten. Sie können fordern, wir dagegen müssen uns fügen, wenn nicht noch größeres Unheil geschehen soll.«
    Jetzt wurde aus dem Stimmgemurmel lauter Protest. Die »Gottesgemahlin« versuchte erst gar nicht, die Einzelnen zu verstehen. Sie wusste auch so, dass es kaum jemanden gab, der auf ihrer Seite war. Langsam drehte sie den Männern den Rücken zu. Von ihrem Fenster aus hatte sie vorhin lange auf die Stadt geschaut, die aus dieser Entfernung wie immer gewirkt hatte: stolz, stark, unzerstörbar. Die Wunden, die die Söhne Assurs ihr versetzt hatten, waren nicht zu erkennen. Aber sie existierten. Trotz allen Verhandlungsgeschicks hatten sie und Montemhet nicht verhindern können, dass es schließlich doch so weit gekommen war, was sie mit einem Gefühl ohnmächtiger Wut erfüllte. Schlimmer noch: Ihr raffinierter Plan war ganz und gar gescheitert.
    Sie waren betrogen worden. Und Waset musste dafür büßen.
    Würde sich die »Siegreiche« jemals wieder davon erholen können?
    »Es gehen äußerst interessante Gerüchte um«, sagte Horachbit, der unauffällig neben sie getreten war. Sie wandte ihr Gesicht zur Seite, um seinem säuerlichen Geruch auszuweichen. »Welche?«
    »Nun, die berühmten Rammböcke der Assurer wurden zwar in großer Anzahl aufgefahren, aber offenbar nicht

Weitere Kostenlose Bücher