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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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ihn nach unten. Ich hörte das Knirschen ihres Nasenbeins. Sie stöhnte. Blut lief ihr über das Gesicht, bildete eine dunkle Pfütze auf dem grauen Granit.
    »Ich rieche dein Blut, Lilou.« Und das stimmte . Es belebte mich. Ich dachte an das Vampirblut, an diese dicke, eklige Flüssigkeit, die mich kräftiger gemacht und all meine Sinne geschärft hatte. »Ich bin stark – stärker als du.«
    Ich ließ ihr Haar los, robbte tiefer und drehte ihr die Arme auf den Rücken. Sie hatte mich als Intelligenzbestie verspottet. Aber ich würde es ihr zeigen. Am Ende siegte die Intelligenz. »Gegen dich zu kämpfen, macht Spaß, du dummes Ding!« Ich bohrte ihr die harten Fingerknöchel in die Nieren, immer wieder. »Du hättest … dich mal … besser mit … deiner Anatomie … befassen sollen.«
    Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Stein, stöhnend und flach atmend.
    Ich rappelte mich mühsam hoch. Dann bückte ich mich, packte sie an beiden Füßen und schleifte sie zum Rand der Plattform. Mit einem Tritt versuchte ich sie in die Tiefe zu befördern, aber sie klammerte sich an der Kante fest. Ich begann mit der Fußspitze ihre Finger zu lösen.
    Triumphierend spähte ich in die Menge. Mein Blick suchte Yasuo und Emma. Und ich hätte gern das Staunen auf Ronans Zügen gesehen.
    Das Publikum hielt den Atem an, und ich schaute nach unten. Lilou starrte mich an. Aus ihren schönen haselnussbraunen Augen war jede Menschlichkeit gewichen. Kälte stand darin, Kälte und Mordlust. Ihr Gesicht war blutverschmiert, und Blut lief ihr über Mund und Kinn. Ihre Stimme klang heiser und rasselnd. Aus ihren Mundwinkeln quoll blutiger Schaum. »Du hältst dich immer für so verdammt schlau!«
    Zu spät spürte ich die Finger, die sich in meinen Knöchel gruben. Sie waren lang und schlank und hielten meinen Stiefel wie in einem Schraubstock fest.
    Lilou stürzte von der Granitkante. Und sie riss mich mit in die Tiefe.
    Es war ein Fall, der kein Ende nehmen wollte. Dichtes Buschwerk wucherte hinter der Felsenplatte, und es dämpfte unseren Sturz.
    Sie landete auf dem Rücken, und ich kam mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf ihr zu liegen.
    » Schscheiße! « In meinem linken Knie explodierte ein wilder Schmerz. Einen Moment lang tanzten weiße Lichter vor meinen Augen. Ich atmete durch den Mund, während ich mich von ihr zu lösen versuchte.
    Sie griff nach meinen Beinen, umklammerte meine Taille, versuchte mich niederzuringen. »Du bist tot.«
    Ich spürte, wie die Zuschauer sich um die alten Monolithen scharten. Spürte ihre stummen Blicke, die jede unserer Bewegungen verfolgten.
    Während ich Lilou gegen die Plattform drängte und meinen Körper geradezu obszön an sie presste, schlug ich mit den Fäusten ungelenk auf ihr Ohr ein. »Was sagst du jetzt? Ich lebe immer noch.«
    »Aber nicht mehr lange. Ich mache dich platt, vor versammelter Menge!« Sie stieß mich mit einem Ruck von sich, und ich taumelte gegen den Sockel des Felsens.
    Im gleichen Moment vernahmen wir ein ohrenbetäubendes Krachen. Es klang wie ein Donnerschlag. Oder wie Kanonenfeuer.
    »Was zum –« Ich warf einen Blick zum Himmel.
    Lilou nutzte die Ablenkung zu einem Kopfstoß, der mich genau am Kinn traf. Mein Unterkiefer knirschte, und ich verschluckte ein Stück Zahn.
    »Du tickst wohl nicht ganz richtig …« Ich bekam meinen Arm frei, zog sie ganz nahe zu mir heran und rollte sie über mich hinweg. Dann rammte ich ihr die Schulter in die Brust.
    Pfeifend entwich die Luft aus ihren Lungen. Sie atmete tief durch. Ihre Finger verkrallten sich in meinem Haar. »Du bist das –«
    Wieder ein Donnerschlag. Der Boden unter uns wankte. Heillos ineinander verkeilt, sanken wir tiefer in das Buschwerk. Wir hörten ein fernes Ping , als würden Kieselsteine in einem tiefen Brunnenschacht aufschlagen.
    »Stopp!«, kreischte Lilou.
    Ich umklammerte ihren Hals und stieß ihr immer wieder das Knie in den Bauch.
    Sie zerkratzte mir die Wangen, versuchte sich loszureißen. »Hör auf, mich –«
    Die Erde bebte. Lilou und ich erstarrten, eng umschlungen.
    Erneut ein ohrenbetäubendes Krachen. Ein breiter Riss zeigte sich entlang der Felsenplattform. Eine schwarz gähnende Kluft, aus deren Tiefe der Gestank von brackigem Wasser und abgestandener Luft aufstieg.
    Weit weg das Geräusch von rutschendem Kies. Etwas näher das Rollen von Felsbrocken. Und dann sackte der Boden unter uns weg.
    Lilou und ich stürzten in die Schwärze. Stürzten in die Hölle.

Wir landeten

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