Isola - Roman
bedeutete, dass ich mich links einordnen musste, in die Reihe der Fremden.
Die rechte Schlange schrumpfte zusehends auf eine Handvoll Brasilianer zusammen, während wir, die Fremden, im Schneckentempo vorwärtskrochen.
Mein Kopf tat weh, meine Muskeln machten schlapp und in meinem Magen rumorte der Hunger. Es roch nach Eukalyptus-Putzmittel und Müdigkeit und eins der Neonlichter über mir flimmerte wie blöde, bis es mit einem elektrischen Sirren erlosch. Gleich war ich an der Reihe. Vor mir stand nur noch das Mädchen mit der Glatze, das jetzt schon eine kleine Ewigkeit mit dem Passbeamten debattierte. Ob sie auch zu unserer Gruppe gehörte? Der Beamte hielt ein Papier in den Händen, das er, ohne eine Miene zu verziehen, studierte. Neben ihm stand der Rucksack des Mädchens.
Ich kramte in meiner Jackentasche. Wir alle hatten für die Einreise ein Schreiben erhalten, das wir zusammen mit unserem Pass vorzeigen sollten, denn Tempelhoffs Assistentin würde uns erst in der Empfangshalle abholen, um von dort unsere Überfahrt zur Insel zu leiten. Natürlich hatte der Zeitungsartikel, den Elfe mir im Flieger in die Hand gedrückt hatte, nur die halbe Wahrheit gesagt. Selbstverständlich würde Tempelhoff nicht der Einzige sein, der unser Projekt betreute. Ihm stand ein Team zur Seite –wenn auch ein kleines. Eine Designerin hatte unsere Unterkunft auf der Insel neu ausgestattet, eine Stylistin hatte unsere Garderobe bereitgelegt. (Um Elfes Frage zu beantworten, ja – auch meine Maße hatte die Stylistin in Deutschland notiert: Gewicht 52 kg, Größe 1,68, Schuhgröße 37, Brust 78, Taille 68, Oberweite schmal, Körbchengröße 70 A).
In Angra dos Reis würden ein Helikopterpilot und eine deutsche Ärztin abrufbereit für Notfälle sein. Aber für die Überwachung der Monitore hatte Tempelhoff lediglich einen Kameraassistenten eingestellt, der ihn schichtweise ablösen sollte. Ich war erleichtert darüber gewesen, denn die Vorstellung, von einer ganzen Horde von Filmleuten beobachtet oder gar belacht zu werden, war mir unerträglich. Dennoch fand ich es seltsam, dass nur ein einziger Assistent Tempelhoff zur Seite stand. Ich fragte mich, was das über den Regisseur aussagte. Wollte Tempelhoff die ersten Bilder von uns nicht mit anderen teilen? Wollte er Diskussionen aus dem Weg gehen? Seine Ruhe haben? Oder nahm er vielleicht sogar Rücksicht auf uns?
Wie auch immer: Unter ständiger Aufsicht waren wir in jedem Fall – zumindest hatte Tempelhoff das unseren Eltern garantiert.
Der Passbeamte verwies das Mädchen mit der Glatze an einen Kollegen und nickte mir zu. Meine Knie zitterten so sehr, dass ich Mühe hatte weiterzugehen.
Ich hielt den Kopf gesenkt, während mein Pass und die Einreisepapiere geprüft wurden, zu denen auch die Erlaubniserklärung von Erika und Bernhard gehörte. Die schwarzen Finger des Beamten waren sehnig, über den Handrücken zog sich eine wellenförmige Narbe und seine Fingernägel schimmerten hell wie geschliffenes Elfenbein. Hinter ihm, an der Glastür war ein Militärpolizist aufgetaucht, ich sah ihn nur aus den Augenwinkeln; seine beige Uniform mit schwarzen Kampfstiefeln, Schlagstock – und Pistole. Bei ihrem Anblick hatte ich plötzlich das Gefühl, als ob kurze, grelle Blitze durch mein Gehirn schossen. Meine Augen zuckten, in meinem Bauch wurde es heiß und gleich darauf eiskalt, es war eine Mischung aus Todesangst und abgrundtiefem Hass. Der Polizist verschwand wieder und der Beamte gab mir die Papiere zurück.
»Pode passar. Bem vindo ao Brasil.«
Die dunkle Stimme des Beamten war ausdruckslos, aber in seinem Akzent war dieses Singen, dasselbe gelassen weiche Singen, das ich auch von Esperança im Ohr hatte, jedes Mal wenn ich an ihren Namen dachte – und an das Gesicht, das ich nur noch vom Foto und aus dem Internet kannte. Die schwarzen Locken, die ernste Stirn und die mandelförmigen, strahlenden Augen. Esperança bedeutet Hoffnung.
In der Empfangshalle sah ich Elfe wieder. Sie war barfuß und schwirrte in ihrem wallenden Kleid wie ein riesiger Schmetterling in einer Gruppe von Jugendlichen umher, die sich um eine junge Frau geschart hatten. Ich kannte sie von den Casting-Gesprächen, es war Maja, Tempelhoffs Assistentin. Sie trug ein sandfarbenes Leinenkleid und eine sonnengelbe Schirmmütze und neben ihr stand unverkennbar ein großes Schild mit einer schlichten Aufschrift: Isola .
Ich wich einer dicken Brasilianerin aus, die sich mit weit ausgebreiteten Armen auf
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