Isola - Roman
und in Farbe hat. Zweitens«, sie streckte den Zeigefinger aus, »gibt es die Version von Solo, deinem Vater und Vera. Da wird es schon etwas komplizierter. Denn in dieser Version war der durchgeknallte Höhlenmörder angeblich das Opfer seines bösen Zwillingsbruders, der sich auf Isola eingeschlichen und heimlich mitgemischt hat.« Sie setzte sich auf die Sessellehne, legte die Stirn in Falten und tat, als würde sie angestrengt nachdenken. »Hmm … was wird man von dieser Version wohl zu halten haben? Vor allem, wenn man bedenkt, dass du Deutschland offiziell nie verlassen hast. Und wenn wir das Computertagebuch deines Vaters löschen, dann hätten wir damit sogar dein Motiv verwässert. Die Mitteilungen im Handy sind ebenfalls gelöscht, und da es ein Prepaid-Handy ist, kann man zwar die Nummer nachvollziehen, die Vera durch ihren Anruf hinterlassen hat, aber nicht den Besitzer des Handys. Damit wäre die Aussage, dass Solos rätselhafter Zwillingsbruder auch noch einen Komplizen in der Gruppe hatte, ebenfalls nicht zu beweisen. Mal sehen, wem würde man diese abstruse Geschichte dann noch abnehmen? Solo? Dem Regisseur?« Sie neigte den Kopf und sah ihn an. »Eher nicht, oder? Ich meine, wo die beiden doch eindeutig als Täter und Mittäter infrage kommen. Aber dann wäre da ja immer noch …«
Sie legte eine kunstvolle Pause ein und er brachte den Satz mit einem kläglichen Krächzen zu Ende.
»Vera.«
»Richtig!« Sie schnippte mit den Fingern. »Da wäre ja immer noch Vera. Die kommt nämlich weder als Mörderin infrage noch gehört sie zur befangenen Familie. Womit sie eindeutig als Zeugin ernst zu nehmen wäre. Stimmt’s?«
Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern nickte. »Stimmt. Und genau daran wirst du etwas ändern. Soll ich dir sagen, wie?«
Er schüttelte kraftlos mit dem Kopf. Sie aber fuhr fort, fast im Plauderton, als planten sie einen Sonntagsausflug. »Du gehst nach nebenan und nimmst Vera mit zur Höhle. Wenn du es nicht schaffst, das Messer oder deine Hände zu benutzen, dann führ sie zum Gang und stoße sie die Felsen hinunter. Das geht ganz leicht. Nur ein kleiner Schubs und sie fliegt. So hat es bei Joker auch funktioniert.«
»Und die anderen?«, presste er hervor. »Was werden die anderen denken?«
Sie schlug die Beine übereinander. »Was die anderen denken werden? Du bist heute wirklich schwer von Begriff. Für die anderen wird der Grund ihres Todes ganz offensichtlich sein. Ihre Freunde haben schließlich mitbekommen, dass Vera von der Nachbarinsel fortgefahren ist, um ihrem süßen, kleinen Solo beizustehen. Die Ärmste hatte tatsächlich an seine Unschuld geglaubt. Aber damit hat sie sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Solo war nicht unschuldig. Und weil Vera dumm genug war, ihm zu folgen, musste er sie ebenfalls töten.«
Tobias starrte sie an. »Dann ist mein Bruder ein dreifacher Mörder«, stammelte er fassungslos.
Sie nickte. »Stimmt. Und wir haben die Million deines Vaters und sind frei. Damit kann ich leben, schließlich war das Geld der Grund, warum ich bei der ganzen Sache überhaupt mitgemacht habe. Und du solltest deine sentimentalen Gefühle jetzt schleunigst unter Kontrolle bekommen. Die Alternative ist nämlich, dass Vera ihre Aussage macht und wir den Rest unseres Lebens von der Polizei gejagt werden. Ist dir das lieber?«
Er dachte Ja und sagte Nein. Und dann beugte er sich vor und übergab sich unter krampfhaften Zuckungen auf den Steinboden.
Sie kam zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Los jetzt«, sagte sie beruhigend. »Du schaffst das. Bereite dich vor, denn das traurige Ende dieser Szene wirst du nur ein einziges Mal durchziehen können. Aber lass dir auch nicht zu viel Zeit, denn die haben wir nicht mehr.«
Er nickte mechanisch. Dann stand er auf, ging zurück in den Nebenraum, in dem seine Sachen standen, und stellte ein letztes Mal seinen Laptop an. Er wusste noch nicht, ob er das, was er vorhatte, über sich bringen würde. Aber eine Sache wollte er zu Ende bringen – und vielleicht würde ihm das die nötige Kraft geben.
NEBEN DER Wasserflasche auf dem Tisch lag ein Bild. Es war ein Ausdruck, ein Computerausdruck, ziemlich zerknittert, als hätte ihn jemand viele Male in den Händen gehalten. Das Gesicht auf dem Bild war dasselbe, das ich in Tempelhoffs Buch gesehen hatte. Ein schmales Gesicht mit einer hohen Stirn und dunklen Augen. Mirjam Liebermann, die Mutter von Solo und Tobias. Ich starrte es an, die ganze Zeit, auch
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