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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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ernste Trinken des schon warmen Bieres, das Ausbrechen des Schweisses um die Nase herum. Eine Widerlichkeit, die durch gierigstes Anschauen und Beriechen nicht auszukosten ist.
    Der Professor, den Kafka im Oktober 1913 auf seiner Reise zurück vom Gardasee so eingehend studierte, war der Mathematiker Anton Grünwald (1838–1920) von der Deutschen Technischen Hochschule in Prag. Kafka hatte dort im Wintersemester 1909/10 Vorlesungen über mechanische Technologie gehört – eine Fortbildungsmaßnahme für seine Tätigkeit in der Arbeiter-Unfallversicherung. Grünwald war eine prominente Figur an der Hochschule, war auch mehrere Semester lang deren Rektor. Sein Name war der gebildeten Öffentlichkeit auch deshalb geläufig, weil er eine Mathematiker-Dynastie begründet hatte: Zwei von Grünwalds Söhnen brachten es ebenfalls zu Professoren der Mathematik, beide lehrten wie er in Prag.
    Wo genau Kafka den der Völlerei ergebenen Professor fixierte – ob im Restaurant oder im Speisewagen –, lässt sich aus der knappen Tagebuchnotiz nicht erschließen. Bemerkenswert und für Kafka sehr charakteristisch ist jedoch, dass er seine Beobachtungen erst mehrere Tage nach der Rückkehr in Prag notierte, die sinnlichen einschließlich der »widerlichen« Details also gleichsam fotografisch gespeichert hatte.

Anton Grünwald

19
    Kafka ist nicht prüde
[26./29. November 1911]
Mit Max […] zu A. M. Pachinger. Sammler aus Linz, von Kubin empfohlen, 50 Jahre, riesig, turmartige Bewegungen, wenn er längere Zeit schweigt, beugt man den Kopf, da er ganz schweigt, während er sprechend nicht ganz spricht, sein Leben besteht aus Sammeln und Koitieren. […] Aus dem Kaffeehaus im Hotel Graf führt er uns in sein überheiztes Zimmer hinauf, setzt sich aufs Bett, wir auf 2 Sessel um ihn, so dass wir eine ruhige Versammlung bilden. Seine erste Frage »Sind sie Sammler?« »Nein nur arme Liebhaber.« »Das macht nichts.« Er zieht seine Brieftasche und bewirft uns förmlich mit Exlibris, eigenen und fremden, untermischt mit einem Prospekt seines nächsten Buches »Zauberei und Aberglaube im Steinreich«. Er hat schon viel geschrieben, besonders über »Mutterschaft in der Kunst« den schwangeren Körper hält er für den schönsten, er ist ihm auch am angenehmsten zu vögeln. […] Beim Weggehn zerwirft er das Bett, damit es vollständig sich der Zimmerwärme angleiche, ausserdem ordnet er weiteres Einheizen an. […] Über Weiber: Die Erzählungen über seine Potenz machen einem Gedanken darüber, wie er wohl sein grosses Glied langsam in die Frauen stopft. Sein Kunststück in frühern Zeiten war, Frauen so zu ermüden, dass sie nicht mehr konnten. Dann waren sie ohne Seele, Tiere. Ja diese Ergebenheit kann ich mir vorstellen. Er liebt Rubensweiber wie er sagt, meint aber solche mit grossen oben gebauchten unten flachen, sackartig hängenden Brüsten. Er erklärt diese Vorliebe damit, dass seine erste Liebe eine solche Frau, eine Freundin seiner Mutter und Mutter eines Schulkollegen war, die ihn mit 15 Jahren verführte. Er war besser in Sprachen, sein Kollege in Mathematik, so lernten sie mit einander in der Wohnung des Kollegen, da geschah es. Er zeigt Photographien seiner Lieblinge. Sein gegenwärtiger ist eine ältere Frau, die auf einem Sessel mit gespreizten Beinen, gehobenen Armen, von Fett faltigem Gesicht sitzt und so ihre Fleischmassen zeigt. Auf einem Bilde, das sie im Bett darstellt, sind die Brüste, so wie sie ausgebreitet und geschwollen förmlich geronnen aussehn, und der zum Nabel gehobene Bauch gleichwertige Berge. Ein anderer Liebling ist jung, sein Bild ist nur ein Bild der aus der aufgeknöpften Blouse gezogenen langen Brüste und eines abseits schauenden in einem schönen Mund zugespitzten Gesichtes. In Braila hatte er damals grossen Zulauf der dicken, viel vertragenden, von ihren Männern ausgehungerten Kaufmannsfrauen, die dort zur Sommerfrische lebten. Sehr ergiebiger Fasching in München. Nach dem Meldeamt kommen während des Faschings über 6000 Frauen ohne Begleitung nach München offenbar nur um sich koitieren zu lassen. Es sind Verheiratete, Mädchen, Witwen aus ganz Bayern, aber auch aus den angrenzenden Ländern.
[12. Juni 1914]
Pachinger hat einer Leiche einen silbernen Keuschheitsgürtel abgesägt, hat die Arbeiter, welche sie ausgegraben haben, irgendwo in Rumänien, beiseitegeschoben, hat sie mit der Bemerkung beruhigt, dass er hier eine wertlose Kleinigkeit sehe, die er sich als Andenken

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