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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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darfs niemand nicht singen‹ und forderte energisch die weltentrückte Dichterin zum Einstellen des Gesanges auf. Erschreckt fuhr diese zusammen und, erregt dem Wachmann das Wort ›Prinz‹ ins Gesicht schleudernd, entfernte sie sich…«
    Es lässt sich nicht belegen, ist aber durchaus möglich, dass Kafka nicht nur die Prager Lesung Lasker-Schülers besuchte, sondern auch Zeuge dieses Vorfalls war.

Else Lasker-Schüler als Prinz Jussuf von Theben, 1912

16
    Kafka ist wütend (I)
[An Paul Kisch,
München, 5. Dezember 1903]
Du verfluchter Kerl, Du bist der einzige an den ich nur mit Wuth habe denken können. Das hier ist also die fünfte Karte. Ich bitte um die Adressen, bitte bitte, sollte ich am Ende auf den Knien nach Prag rutschen? Na warte!
Dein Franz
    Paul Kisch (1883–1944), ein Bruder von Egon Erwin Kisch, war Klassenkamerad Kafkas am Altstädter Gymnasium. Als Kisch im Herbst 1901 nach München übersiedelte, um dort Germanistik zu studieren, wollte Kafka es ihm zunächst gleichtun, blieb dann aber doch an der Prager Deutschen Universität. Kisch wiederum kehrte schon nach einem Semester nach Prag zurück.
    Als der 20jährige Kafka zum ersten Mal nach München reiste (24. November bis 5. Dezember 1903), hatte ihn Kisch zweifellos gut unterrichtet über die dortigen Literatentreffpunkte. Außerdem studierte in München Emil Utitz, ein weiterer Mitschüler. Das Bildmotiv der Postkarte lässt vermuten, dass Kafka auch das berühmte Kabarett ›Die Elf Scharfrichter‹ besuchte, in dem unter anderen Frank Wedekind mit Liedern und Balladen auftrat.

    Von den fünf Postkarten, die Kafka in München an Kisch schrieb, sind nur vier erhalten; diese ist die letzte, eingeworfen offenbar erst während der Rückreise in Nürnberg. Mit der ersten Karte vom 26. November hatte Kafka die Adresse mitgeteilt, unter der er in München zu erreichen war (Pension Lorenz, Sophienstraße 15, 3. Stock). Doch Kisch meldete sich nicht, obwohl Kafka für ihn einige Einkäufe erledigen sollte (darauf beziehen sich die »Adressen«, nach denen er Kisch fragt).
    Nach dieser wohl halb gespielten, halb echten Anwandlung von Zorn scheint es zwischen den Freunden zu einer Entfremdung gekommen zu sein, denn weitere Korrespondenz zwischen ihnen ist nicht überliefert. Auch die Tatsache, dass Kisch in Prag einer schlagenden Studentenverbindung beitrat und einen immer ausgeprägteren deutschnationalen Habitus annahm, wird Kafka wohl kaum erfreut haben.

17
    Kafka ist wütend (II)
Ich habe fast kein unmittelbares Interesse an der Fabrik, desto mehr aber mittelbares. Ich will nicht dass des Vaters Geld, das er auf meinen Rat und meine Bitte K[arl] zur Verfügung gestellt hat, verloren geht das ist meine erste Sorge, ich will nicht dass des Onkels Geld verloren geht, das er nicht so sehr K[arl] als uns geborgt hat, das ist meine zweite Sorge und ich will auch nicht, dass E[llis] und der K[inder] Geld verloren geht, das ist meine dritte Sorge. Von meinem Geld und meiner Haftpflicht spreche ich gar nicht. Nun halte ich aber das Ganze durchaus nicht für mehr gefährdet, als bei diesen Zeitumständen alles gefährdet ist. Ich habe natürlich auch vollständiges Vertrauen zu Euch; dass Du im Laufe des letzten ¼ Jahres an 1500 K wenigstens nach dem Kassabuch entnommen hast, beirrt mich darin nicht im Geringsten, Du hast 400 K nach dem Kassabuch eingezahlt, wirst gewiss auch das übrige zurückzahlen und handelst wahrscheinlich im Sinne Karls. Allerdings wusste ich nichts davon, sondern erfuhr es erst aus dem Buch – es ist dort in der letzten Zeit übrigens kein Datum eingetragen – und war also aus diesem Grunde und weil doch in dieser Zeit die Gebarung der Fabrik besonders empfindlich ist, darüber erstaunt sonst nichts, ich war bloss erstaunt und habe es zur Kenntnis genommen. Damit war die Sache erledigt.
Ich schicke voraus, dass ich der Berichterstattung von Elli nicht vollständig glaube, Du hast sie in grosse Aufregung gebracht, sie ist überdies jetzt während des Krieges in fortwährender Aufregung und darin verliert sie dann den Überblick. Selbst wenn ich aber vieles von dem was sie erzählt hat, als blosse Phantasie auffasse, so scheint doch genug übrig zu bleiben, um anzunehmen, dass Du sie, nebenbei gesagt hier vor den Mädchen, unerhört behandelt hast. Du hast vergessen dass sie eine Frau ist und dass sie die Frau Deines Bruders ist.
»Sie hat hier aufgelauert und hat Dich dann hergeschickt.« Das ist eine Unwahrheit und

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