Ist es nicht schoen, gemein zu sein
war
sie nicht mehr so früh wach gewesen, und sie hatte ganz vergessen, was das für
ein Scheißgefühl war.
»Jauchzet dem Herrn alle Welt, dienet dem Herrn mit
Freuden, kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken, kommt vor sein Angesicht mit
Frohlocken. Halleluja! Glory Haüeluja!«
Jenny Humphrey aus der Neunten bewegte nur stumm die
Lippen zur Musik. Sie teilte sich mit ihrer Sitznachbarin das Heft mit den
Liedertexten, das sie im Auftrag der Schule selbst gestaltet hatte, weil ihre
Handschrift so außergewöhnlich schön war. Das Abschreiben der Texte hatte die
ganzen Sommerferien gedauert, aber die Mühe hatte sich gelohnt. In drei Jahren
würde das Pratt Institute of Art and Design, eine der renommiertesten
Kunsthochschulen des Landes, Jenny die Tür einrennen. Trotzdem wurde ihr jedes
Mal vor Verlegenheit ganz übel, wenn die Hefte verteilt wurden, und sie konnte
deshalb auch nie laut mitsingen. Sie wäre sich extrem angeberisch vorgekommen:
»Alle mal herschauen, ich singe aus meinem eigenen, von mir selbst entworfenen Liederheft! Bin ich nicht die
Größte?«
Jenny blieb lieber unsichtbar. Als etwas zu kurz geratene,
lockenköpfige Neuntklässlerin war das Unsichtbarsein auch nicht allzu schwer.
Wobei es noch einfacher gewesen wäre, wenn ihr Busen weniger sichtbar gewesen
wäre. Mit vierzehn brauchte sie schon BHs in Größe 75DD. Ist das zu fassen?
»Jauchzet
dem Herrn alle Welt...«
Jenny stand am Ende der Reihe aus Klappstühlen direkt
neben den riesigen Fenstern, die auf die 93. Straße hinausgingen. Plötzlich
nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Sie schaute auf die Straße.
Blondes, wehendes Haar. Burbenymantel. Abgewetzte braune Wildlederstiefel. Eine
neue braune Schuluniform - komisch, wieso braun? Aber an ihr sah sie irgendwie
hip aus. Sie sah wie... aber das konnte nicht... oder doch... nein!... War das
etwa... ?
Ja, war es.
Wenig später stieß Serena van der Woodsen die schwere
Holztür zur Aula auf, trat ein paar Schritte in den Raum und sah sich nach
ihrer Klasse um. Sie war außer Atem und ihr Haar war zerzaust. Ihre Wangen
waren rosig, und ihre Augen glänzten, weil sie die zwölf Blocks von der Fifth
Avenue bis zur Schule rennend zurückgelegt hatte. Sie sah noch vollkommener
aus, als Jenny sie in Erinnerung gehabt hatte.
»Oh. Gott. Nee, oder?«, flüsterte in der letzten Reihe
Rain Kati zu. »Hat die ihre Klamotten unterwegs in einem Obdachlosenasyl zusammengebettelt?«
»Und von Bürsten hat sie wohl noch nie was gehört.«
Isabel kicherte. »Wo die wohl letzte Nacht geschlafen hat?«
Mrs Weeds ließ den Choral mit einem dröhnenden
Schlussakkord ausklingen.
Mrs M räusperte sich. »Und jetzt bitte ich um eine Schweigeminute
für diejenigen, die es nicht so gut getroffen haben wie wir. Besonders für die
amerikanischen Ureinwohner, die bei der Gründung dieses Staates niedergemetzelt
wurden und die wir um Verständnis dafür bitten, dass wir am gestrigen Feiertag Christoph
Columbus gedacht haben.«
Schweigen senkte sich über die Aula. Die ganze Aula?
Nun... beinahe.
»Schau mal, wie Serena die Hand auf den Bauch legt.
Wahrscheinlich ist sie schwanger«, raunte Isabel Coates Rain Hoffstetter zu.
»Das machen doch bloß Schwangere.«
»Oder sie hat heute Morgen eine Abtreibung gehabt.
Vielleicht kommt sie deshalb zu spät«, flüsterte Rain zurück.
»Mein Vater sitzt im Förderkreis vom Phoenix House, du
weißt schon, dieses Suchttherapiezentrum«, sagte Kati leise zu Laura Salmon.
Ȇber den kann ich bestimmt rausfinden, ob sie dort war. Wetten, dass sie
deshalb plötzlich mitten im Schuljahr zurückkommt? Die hat da bestimmt eine
Entziehungskur gemacht.«
»Ich hab gehört, dass auf vielen Internaten so eine Mischung
aus Domestos, Zimt und Nescafe geschnupft wird. Das soll so ähnlieh reinhauen
wie Speed, aber wenn man es zu lange macht, färbt sich die Haut langsam grün«,
mischte sich Nicki Button ein. »Und dann wird man blind und stirbt.«
Blair schnappte die einzelnen Gesprächsfetzen auf. Sie
lächelte.
Mrs M wandte sich an Serena und nickte ihr zu.
»Mädchen - bitte begrüßt eure alte Freundin Serena van
der Woodsen, die ab heute wieder bei uns ist. Serena wird die zwölfte Klasse
besuchen.« Mrs M strahlte. »Setz dich doch, Serena.«
Serena schritt leichtfüßig den Mittelgang an den Stuhlreihen
entlang und setzte sich auf den freien Platz neben der als chronische
Nasenpoplerin bekannten Lisa Sykes aus der zweiten Klasse.
Jenny fühlte sich
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