Ist es nicht schoen, gemein zu sein
gewesen? Sie hatte
verschlafen, sich innerhalb von fünf Minuten angezogen und dabei an einem Zehennagel
ihre schwarze Strumpfhose aufgerissen. Einer spontanen Eingebung folgend,
hatte sie das abgetragene Hemd ihres Bruders Erik angezogen, weil es so gut
nach ihm roch. Erik war auch auf ihrem Internat gewesen, aber inzwischen
studierte er und sie vermisste ihn sehr.
Als sie gerade aus der Wohnung gehen wollte, war ihre
Mutter ihr über den Weg gelaufen, und wenn es nicht schon so spät gewesen wäre,
hätte sie Serena glatt gezwungen, sich noch einmal umzuziehen.
»Dieses Wochenende«, hatte sie gesagt, »gehen wir
einkaufen und zu meinem Frisör kommst du auch mit. Im Internat hat es
vielleicht keinen gestört, aber hier kannst du unmöglich so herumlaufen,
Serena.« Sie hatte ihre Tochter auf die Wange geküsst und sich wieder ins Bett
gelegt.
»O Mann, ich glaub, die ist eingeschlafen«, flüsterte
Kati Laura zu.
»Wahrscheinlich ist sie erschöpft«, antwortete Laura
leise. »Ich hab gehört, sie ist geflogen, weil sie mit allen Jungs im Internat
gepoppt hat. Für jeden Typen hat sie in die Wand neben ihrem Bett eine Kerbe
geritzt. Ihre Zimmernachbarin hat sie verpetzt. Dadurch ist das Ganze überhaupt
erst rausgekommen.«
»Na, und dann noch die anstrengenden nächtlichen Hühnertänze«,
sagte Isabel, worauf die Mädchen hysterisch losgackerten.
Blair biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu
lachen. Es war einfach zu komisch.
noch ein fan
Wenn Jenny Humphrey mitbekommen hätte, wie sich die
Mädchen aus der Zwölften über Serena van der Woodsen - ihr großes Vorbild -
das Maul zerrissen, hätte sie ihnen höchstpersönlich die Fresse poliert. Kaum
war die Morgenandacht beendet, schob sie sich an ihren Mitschülerinnen vorbei
nach draußen auf den Gang, um zu telefonieren. Ihr Bruder Daniel würde
umfallen, wenn er das hörte.
»Hallo?« Daniel Humphrey meldete sich nach dem dritten
Handyklingeln. Er stand an der Ecke 77. Straße und West End Avenue vor der
Riverside-Knabenschule und rauchte eine Zigarette. Er kniff seine dunkelbraunen
Augen zusammen und blinzelte in die gleißende Oktobersonne. Dan stand nicht auf
Sonnenlicht. Er hockte in seiner freien Zeit meistens in seinem Zimmer und las
morbide, existenzialistische Gedichte, die davon handelten, wie bitter das menschliche
Dasein ist. Dan hatte strähniges Haar, war bleich und rockstarmäßig dürr.
Der Existenzialismus ist ziemlich appetitabregend.
»Rate, wer wieder da ist!«, kreischte ihm die
aufgeregte Stimme seiner kleinen Schwester ins Ohr.
Genau wie Dan war Jenny eine ziemliche Einzelgängerin.
Wenn sie das Bedürfnis hatte, mit jemandem zu sprechen, rief sie bei ihm an.
Deshalb hatte sie ihnen auch die Handys gekauft.
»Ey, Jenny, können wir nicht später...«, blockte Dan
genervt ab, wie es nur große Brüder können.
»Serena van der Woodsen!«, unterbrach Jenny ihn. »Serena
ist wieder auf unserer Schule. Sie saß heute in der Morgenandacht. Ist das
nicht der Hammer?«
Dan beobachtete den Plastikdeckel eines Kaffeebechers,
der über den Gehweg trieb. Ein roter Saab raste auf der West End Avenue bei
Gelb über die Ampel. Seine Socken in den braunen Wildleder-Hush-Puppies fühlten
sich feucht an.
Serena van der Woodsen. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Camel. Seine
Hände zitterten so, dass er beinahe seinen Mund verfehlt hätte.
»Dan?«, quäkte seine Schwester aus dem Handy. »Kannst
du mich hören? Hast du mitgekriegt, was ich gesagt hab? Serena ist wieder da.
Serena van der Woodsen.«
Dan zog scharf die Luft ein. »Ja, hab ich verstanden«,
sagte er gespielt gleichgültig. »Und?«
»Und?«, wiederholte Jenny ungläubig. »Ach komm. Erzähl mir
nichts. Du hast doch eben garantiert einen Mini- Herzinfarkt gehabt.«
»Was soll das, Jenny?«, knurrte Dan. »Wieso rufst du
mich wegen so was an? Ist mir doch egal.«
Jenny stöhnte auf. Dan machte sie manchmal echt wahnsinnig.
Wieso konnte er sich nicht ausnahmsweise mal freuen? Sie hatte seine
»Ich-bin-ein-bleicher-unglücklicher- in-mich-gekehrter-Dichter«-Nummer
gründlich satt.
»Okay«, sagte sie. »Vergiss es. Bis nachher.«
Sie legte auf. Dan schob das Handy in seine
verwaschene schwarze Kordhose zurück. Er zog das Päckchen Camel aus der
hinteren Hosentasche und zündete sich an der Glut der Kippe, die er gerade
rauchte, die nächste an. Dabei sengte er sich den Daumennagel an, aber das
merkte er gar nicht.
Serena van der Woodsen.
Er hatte sie auf
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