Italienische Märchen
sagten, daß sie noch ein ziemlich Stückchen Wegs an den Ort ihrer Bestimmung hätten, setzte Liebseelchen sie immer abwechselnd auf ihr Pferdchen, damit sie nicht so müde würden. Unterwegs plauderten die Alten allerlei; aber Liebseelchen war immer still und dachte an den Prinzen Röhropp in den Marmorsteinen, den sie sollte aus dem Grabe herausweinen.
Auf einmal kamen sie an einen freien Platz im Wald; da schien der Mond so hell wie Silber, und in der Mitte stand ein großer Nußbaum voll Nüsse, die klinkerten und klankerten vom Winde bewegt wie goldene Glocken. »Nun«, sagten die Alten, »sind wir da:
Wir Alten mit den Krücken,
Am Wasser ohne Brücken,
Kamen auf Schimmels Rücken,
Wo wir jetzt Nüsse pflücken.
Das Klettern fällt uns gar zu schwer,
Ach! wenn nur eine Leiter da wär!«
Da sprach Liebseelchen:
Ich steig auf Schimmelchens Rücken
Und schlag die Nüsse mit den Krücken,
Das ist so gut wie Pflücken;
Klinkele, klankele in dem Wind,
Nun hebt die Nüsse auf geschwind.
Und das ging prächtig. Liebseelchen stellte sich auf ihren Schimmel und schlug mit einer Krücke die Nüsse herunter; aber die Alten waren noch nicht zufrieden und sangen:
Wir Alten mit den Krücken,
Wir haben müde Rücken
Und können uns nicht bücken,
Das Nüsselesen fällt gar zu schwer,
Ach! wenn nur alles im Sack drinne wär.
Aber Liebseelchen war unermüdet gefällig und sammelte den Alten alle Nüsse in den Sack, so daß sie endlich sehr müde ward, und da die alten Mütterchen sie seufzen hörten, sagten sie: »Genug, mein Kind! genug, du seufzest so schwer, du bist so müd.« – »Ach!« sagte Liebseelchen:
Ich seufze nicht aus Müdigkeit,
Ich seufze aus großem Herzeleid,
Prinz Röhropp liegt tot in Marmorsteinen,
Den muß ich aus dem Grab herausweinen.
»O weh! o weh!« sagten da die alten Mütterchen, »das wird viel Tränen kosten: da wirst du viel weinen müssen, armes Kind!
Doch fasse Mut,
Wir sind dir gut,
Wir wollen dir hier schenken
Drei Nüsse zum Angedenken.
Kommst du in Not und große Pein:
So knacke eine Wünschelnuß,
Dann wird dir gleich geholfen sein
Zu Lust und Freud und Überfluß.«
Da gab ihr jede eine Nuß, die knüpfte sie in ihre Schürze und stieg zu Pferd, und die Alten riefen:
Leb wohl! leb wohl! gradaus,
So kömmst du aus dem Wald hinaus.
Und nach diesen Worten verschwanden die Alten in der Luft, und der Schimmel flog mit Liebseelchen durch die Büsche, daß ihr die Haare sausten und die Nüsse in der Schürze klingelten.
Schon war sie über Berg und Tal gekommen, da hörte der Schimmel auf zu galoppieren und trabte.
Schon war sie durch den jungen Wald und über die Moosheide gekommen, und der Himmel war voll Sterne, und der Mond ging unter. Da hörte der Schimmel auf so stark zu traben und ging einen starken Schritt.
Schon war der Himmel weiß gegen Morgen, die Hasen gingen schon in die Kohlfelder nach ihrem Morgenbrot; Hähne krähten in der Ferne, und die Haare Liebseelchens und die Mähne ihres Schimmelchens waren naß vom Morgentau. Da ging der Schimmel einen sehr langsamen Schritt, und Liebseelchen matt und müde nickte mit dem Kopfe und schlief ein und wußte nichts mehr von sich; aber der Schimmel ging seinen leisen Schritt fort, und fraß hie und da ein bißchen Gras, das am Rande der Gartenfelder stand, durch welche bereits der Weg ging. – Auf einmal stand der Schimmel still. Wasser spritzte Liebseelchen ins Gesicht; sie wachte auf, rieb sich die Augen; da sah sie, daß ihr Roß aus dem Becken eines Springbrunnens trank, dessen Strahl sie benetzt hatte. Dieser Springbrunnen stand auf einem großen freien Platz, an der einen Seite eines marmorsteinernen Grabmals, auf welchem ein geharnischter Ritter mit gefalteten Händen lag, und zur andern Seite des Grabmales sprang noch ein Springbrunnen; auf dem Grabmale aber sang eine Schwalbe ihr Morgenlied.
Das weiße Grabmal schimmerte rötlich von der Morgensonne, welche in der Ferne über den Türmen einer großen Stadt aufzog. Der Schimmel schlürfte ruhig das Wasser ein und schüttelte sich. Da kam Liebseelchen erst recht zu sich, sprang vom Sattel und sagte: »O du lieber Himmel! Das ist gewiß
Prinz Röhropp in den Marmorsteinen,
Den ich aus seinem Grab soll weinen.«
Da ging die Sonne in die Höhe, und sie las auf der einen Seite des Grabmals folgende Inschrift:
Brunnen! ihr mögt ewig weinen,
Strudelnd, sprudelnd ab und auf,
Röhropp in den Marmelsteinen
Wacht nicht auf von eurem Lauf;
Nimmer,
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